Urteilsanalyse
Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei persönlichem Machtkampf
Urteilsanalyse
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Das Arbeitsverhältnis kann nach Ansicht des LAG Mecklenburg-Vorpommern auf Antrag des Arbeitgebers gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen sein, wenn das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber oder seinen Vertretern durch persönliche Feindschaft oder persönlichen Machtkampf geprägt ist und Unternehmensinteressen nicht mehr im Vordergrund stehen.

20. Nov 2023

Anmerkung von

RAin, FAinArbR Anna Gralla, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 45/2023 vom 16.11.2023

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Sachverhalt

Die Beklagte ist ein gemeinnütziger Kinder- und Jugendhilfe-Verein. Ihr Vorstand besteht aus der Vorsitzenden, Frau Dr. F. sowie der Klägerin, die zugleich als Koordinatorin bei der Beklagten beschäftigt ist. Im Herbst 2021 entdeckte die Klägerin im Papierkorb des gemeinsam genutzten E-Mail-Postfachs über 700 Bestellungen von Frau Dr. F bei Amazon, die sie dem Vereinszweck nicht zuordnen konnte (u.a. Damenbekleidung, Vaginalkugeln, Shisha-Zubehör, Hundebedarf, Bücher). Weitere Auffälligkeiten, u.a. der Erwerb einer Design-Badewanne durch die Beklagte, bewogen die Klägerin am 16.11.2021 Strafanzeige gegen Frau Dr. F zu erstatten. Bei der Mitgliederversammlung am 6.2.2022 wurde die Klägerin nicht erneut in den Vorstand gewählt; an ihre Stelle trat der Bruder von Frau Dr. F. Am 2.6.2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich sowie ordentlich betriebsbedingt zum 31.7.2022. Am 19.7.2022, einen Tag nach der Güteverhandlung, bezeichnete die Klägerin Frau Dr. F in einer WhatsApp-Nachricht als Narzisstin. Das ArbG hat den Kündigungsschutzanträgen stattgegeben, das Arbeitsverhältnis jedoch gegen Zahlung einer Abfindung von 9.000 EUR zum 31.7.2022 aufgelöst. Hiergegen richteten sich die Berufungen beider Parteien.

Entscheidung

Diese hatte keinen Erfolg. Das ArbG habe das Arbeitsverhältnis zu Recht mit Ablauf der Kündigungsfrist zum 31.7.2022 aufgelöst. Die außerordentliche Kündigung vom 2.6.2022 sei unwirksam. Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch einen Arbeitnehmer wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers sei als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Regelfall keine eine Kündigung rechtfertigende Pflichtverletzung. Etwas anderes könne gelten, wenn sich dieses als unverhältnismäßige Reaktion darstelle (Berechtigung der Anzeige, Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände). Eine Pflicht zur vorherigen innerbetrieblichen Klärung bestehe nicht, wenn der Arbeitnehmer Kenntnis von Straftaten erhalte, durch deren Nichtanzeige er sich selbst einer Strafverfolgung aussetzen würde, oder wenn eine Abhilfe berechtigterweise nicht zu erwarten sei. Hier habe die Klägerin mit ihrer Strafanzeige weder bewusst noch leichtfertig unwahre Tatsachen behauptet. Da sich die Vorwürfe direkt gegen die Vorstandsvorsitzende Frau Dr. F gerichtet und zu den Vereinsmitgliedern auch ihr nahestehende Personen gezählt hätten, sei mit einer neutralen, unvoreingenommenen Aufarbeitung der Vorgänge nicht zu rechnen gewesen. Auch die betriebsbedingte Kündigung vom 2.6.2022 sei unwirksam. Die von der Klägerin ausgeübten Verwaltungstätigkeiten seien nicht entfallen. Das Arbeitsverhältnis sei jedoch auf Antrag der Beklagten gegen Zahlung einer Abfindung nach § 9 I 2 KSchG aufzulösen. Eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit mit Frau Dr. F sei zukünftig nicht mehr zu erwarten. Der Klägerin gehe es nicht mehr allein darum, die satzungsgemäße Verwendung der Vereinsgelder zu klären. Ihre Äußerungen im Anschluss an die Güteverhandlung enthielten persönliche Angriffe, die keinen Bezug zur Beklagten und deren Geschäftstätigkeit hätten.

Praxishinweis

Ein Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 I 2 KSchG kann nur dann Erfolg haben, wenn die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ergibt, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten ist. Rein subjektive, nicht durch Tatsachen gestützte Empfindungen genügen nicht. Als Auflösungsgrund geeignet sind regelmäßig Verhaltensweisen des Arbeitnehmers, die jeglichen Respekt vermissen lassen und/oder das Vertrauensverhältnis zerstören, wie z.B. Beleidigungen, persönliche Angriffe gegen den Arbeitgeber, seine Repräsentanten oder Vorgesetzte, persönliche Machtkämpfe, Strafanzeigen mit wissentlich falschem Inhalt oder auch vorsätzlich falscher Prozessvortrag.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15.08.2023 - 5 Sa 172/22 (ArbG Stralsund), BeckRS 2023, 28516