Urteilsanalyse
Aufhebung der Verfahrenskostenhilfe bei Unerreichbarkeit nach Umzug
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Zieht der Begünstigte nach Gewährung der Verfahrenskostenhilfe mehrfach um, ohne die melderechtlich gebotenen Ummeldungen vorzunehmen, und ist infolgedessen auch nicht für seinen beigeordneten Rechtsanwalt erreichbar, dann rechtfertigt das nach einem Beschluss des OLG Frankfurt a.M. die Aufhebung der bewilligten Verfahrenskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Ein solches Verhalten stelle eine grobe Nachlässigkeit im Sinne dieser Vorschrift dar.

4. Mrz 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 04/2021 vom 25.02.2021

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Sachverhalt

Der Antragsgegner, dem für ein familiengerichtliches Verfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden war, wurde zwecks Überprüfung einer eventuellen Änderung der Verhältnisse aufgefordert, eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorzulegen. Da hierauf keine Reaktion erfolgte, hob das AG die VKH-Bewilligung auf. Dagegen legte der beigeordnete Verfahrensbevollmächtigte für den Antragsgegner sofortige Beschwerde ein, eine Begründung blieb aber aus. Der Verfahrensbevollmächtigte teilte lediglich mit, dass das Mandatsverhältnis beendet sei. Daraufhin versuchte das AG, den Antragsgegner unter der letzten bekannten Anschrift zu erreichen, allerdings ohne Erfolg.

Der Antragsgegner war inzwischen zweimal umgezogen, hatte sich beim zweiten Umzug aber nicht umgemeldet, sodass auch weitere Recherchen des AG keine Ergebnisse brachten. Erst durch eine Anfrage beim Jobcenter bekam das Gericht eine Adresse, unter der es den Antragsgegner erreichen konnte. Auch die unmittelbare Aufforderung des Antragsgegners, die sofortige Beschwerde zu begründen oder die angeforderten Unterlagen einzureichen, blieb jedoch ohne Reaktion. Das AG half der Beschwerde daher nicht ab. Innerhalb einer vom OLG gesetzten Beschwerdebegründungsfrist legte der Antragsgegner dann schließlich eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor.

Entscheidung: Anschriftenänderungen grob nachlässig nicht mitgeteilt

Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Der ursprüngliche Aufhebungsgrund sei zwar entfallen. Aber auch nach zwischenzeitlicher Einreichung der Erklärung über die persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse bestehe ein Grund zur Aufhebung, nämlich nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Denn der Antragsgegner habe entgegen seiner Verpflichtung aus § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO dem AG zwei Anschriftenänderungen aus grober Nachlässigkeit nicht mitgeteilt. Der Maßstab der groben Nachlässigkeit entspreche im Ergebnis dem der groben Fahrlässigkeit. Diese sei anzunehmen, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet gelassen worden sei, was im konkreten Fall jedermann einleuchten müsse.

Danach habe der Antragsgegner seine Mitteilungspflicht mindestens grob nachlässig verletzt. Er habe sich beim zweiten Umzug nicht ordnungsgemäß umgemeldet, sodass umfangreiche Ermittlungen erforderlich waren, um seine neue Anschrift zu erlangen. Auch über den Verfahrensbevollmächtigten sei der Antragsgegner nicht erreichbar gewesen. Insbesondere falle ins Gewicht, dass der Antragsgegner nicht nur seine Mitteilungspflicht aus § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO verletzt, sondern auch gegen die gesetzliche Meldepflicht aus § 17 Abs. 1 BMG verstoßen hat. Die besondere Bedeutung dieser Pflicht sei – im Gegensatz zu den Verpflichtungen aus § 120a ZPO – jedermann bekannt.

Praxishinweis

§ 124 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 2 ZPO, wonach das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben soll, wenn die Partei Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat, hat Sanktionscharakter (Ratz in BeckOK ZPO, § 124 ZPO Rn. 23 a). Zu Recht wird daher die Regelung in der Rechtsprechung eher restriktiv ausgelegt (vgl. etwa OLG Brandenburg, Beschluss vom 06.02.2017 - 13 WF 19/17, BeckRS 2017, 102975 m. Anm. Mayer FD-RVG 2017, 387792). In dem jetzt berichteten Fall hat das OLG Frankfurt jedoch bei Unterlassung der Mitteilung von zwei Anschriftenänderungen und einem Verstoß gegen die gesetzliche Meldepflicht aus § 17 Abs. 1 BMG grobe Nachlässigkeit im Sinn von § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bejaht.

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 10.12.2020 - 7 WF 106/20, rechtskräftig (AG Eschwege), BeckRS 2020, 41016