NJW-Editorial
Asylprozess ohne Beklagte
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Niklas-Janis Stahnke

Asylrechtsverfahren vor den Verwaltungsgerichten finden in der ersten Instanz nahezu ausnahmslos ohne die Beklagte Bundesrepublik, die durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vertreten wird, statt. Das hat wenig mit der Idealvorstellung einer mündlichen Verhandlung zu tun und ist auch für die Kläger ein Ärgernis.

23. Nov 2023

Regelmäßig anwesend sind in der mündlichen Verhandlung daher neben dem Richter nur der Kläger und sein Rechtsanwalt sowie ein Dolmetscher. Diese prozessuale Situation betrifft eine Vielzahl der vor den Verwaltungsgerichten geführten mündlichen Verhandlungen. So stammten etwa am VG Bremen im Jahr 2022 40 % der erledigten Verfahren aus dem Asylbereich. Auch wenn die fehlende Teilnahme des Bundesamts an der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz ein schon über 40 Jahre währender Missstand ist (P. Stelkens NVwZ 1982, 81), sollten wir uns hiermit nicht zufriedengeben und erneut den Finger in die Wunde legen.

Eine mündliche Verhandlung ohne die Beteiligung der Beklagten hat wenig mit der Ideal­vorstellung zu tun. Ein Rechtsgespräch – bei dem es sich um das Kernstück der mündlichen Verhandlung handelt – kann so nur noch zwischen Richter und Kläger, nicht aber mehr im dreipoligen Verhältnis zwischen dem Gericht und den Beteiligten stattfinden. Die weitgehende Nichtteilnahme des Bundesamts an mündlichen Verhandlungen führt für die Verwaltungsgerichte zu einem erheblichen Mehraufwand. Entzieht sich ein Beteiligter der mündlichen Verhandlung, kommt eine unstreitige Erledigung des Rechtsstreits – außer durch die im Asylprozess äußerst fernliegende Möglichkeit der Klagerücknahme – praktisch nicht mehr in Betracht. So können die Beteiligten keinen Vergleich schließen und die Beklagte keine Abhilfeentscheidungen – etwa nach einem glaubhaften Vortrag des Klägers zu seiner Verfolgung im Herkunftsstaat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung – treffen. Jedes Verfahren muss daher durch Urteil entschieden werden. Dies bindet Kapazitäten und führt zu längeren Laufzeiten, da weniger Verfahren verhandelt werden können.

Auf der anderen Seite ist die unterbleibende Teilnahme des Bundesamts an der mündlichen Verhandlung auch ein erhebliches Ärgernis für den Kläger, der mit seinen subjektiven Rechten einer für ihn kaum durchschaubaren Behörde und ihren Entscheidungen gegenübersteht. Schon angesichts der fehlenden Sprachkenntnisse des Klägers ist für ihn der Rechtsstaat nur in der mündlichen Verhandlung zu erleben. Tritt dort aber die Behörde nicht auf, um ihre Entscheidung zu verteidigen, erscheint das Gericht in diesem Setting nicht mehr als Instanz, die einen Streit zwischen Kläger und Behörde entscheidet. Dem Kläger wird vielmehr der Eindruck vermittelt, er müsse jetzt einer anderen Amtsperson das schildern, was er schon einmal berichtet hat. So wird ein Rechtsgespräch unmöglich, weil sich eine staatliche Behörde diesem Gespräch verweigert. Dieser Zustand gleicht einer Farce.

Niklas-Janis Stahnke ist Vorsitzender Richter am VG Bremen.