Anmerkung von
RA Dr. Stefan Lingemann, Gleiss Lutz, Berlin
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 39/2021 vom 30.09.2021
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Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger als Busfahrer Anspruch auf Schicht- und Einmannfahrerzulagen hat.
Der Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1992 enthielt eine Bezugnahme auf die „für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer im Omnibusverkehr in ihrer jeweils letzten Fassung“. In der Anlage zum Arbeitsvertrag wurde die Tätigkeitsvergütung einheitlich mit 19,31 DM/Stunde angegeben als „Grundstundenlohn zzgl. 10 % Schicht- und 10 % Einmannfahrerzulage“. Weiter hieß es, dass die Zulagen, „soweit die tariflichen Voraussetzungen nicht vorliegen“, übertariflich gezahlt werden. Der Arbeitgeber wandte bei Abschluss des Arbeitsvertrages einen Lohntarifvertrag an, der eine Einmannfahrerzulage von 10 % und eine Schichtarbeitszulage von 10 % vorsah. Im Jahre 2000 schloss der Arbeitgeber Haustarifverträge, die diese Zulagen nicht mehr vorsahen, aber eine Stundenlohnerhöhung von 20 %. Die Beklagte rechnete ab Mitte 2000 neben dem erhöhten Stundenlohn keine Schicht- und Einmannfahrerzulagen zugunsten des Klägers ab.
Der Kläger begehrt die Zahlung von Einmannfahrer- und Schichtarbeitszulagen. Das LAG hat die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Die Revision hatte vor dem 10. Senat des BAG keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten Zulagen. Die Auslegung der arbeitsvertraglichen Regelungen nach AGB-Recht ergebe, dass neben der erhöhten Grundvergütung nach Maßgabe der Haustarifverträge seit deren Inkrafttreten kein Anspruch auf gesonderte Einmannfahrer- und Schichtarbeitszulagen bestehe.
Seit Inkrafttreten der Haustarifverträge richte sich das Arbeitsverhältnis aufgrund der Bezugnahmeklausel nach diesen sowie den Nachfolgetarifverträgen. Die Auslegung der Bezugnahmeklausel ergebe, dass diese auch auf den für den Arbeitgeber geltenden Haustarifvertrag verweise.
Dem stehe nicht entgegen, dass der 4. Senat im Jahr 2018 mehrfach entschieden hat, dass eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel nicht zwingend später vom Arbeitgeber abgeschlossene Haustarifverträge erfasst (BAG, FD-ArbR 2018, 411980; BAG, ArbRAktuell 2019, 176), denn die dort zugrundeliegenden Bezugnahmeklauseln hätten sich jeweils auf eine Branche bezogen und damit nur auf Flächentarifverträge.
Die vorliegende Klausel verweise hingegen auf die „für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge“ und damit auch auf Haustarifverträge. Soweit sie auch Tarifverträge „für die gewerblichen Arbeitnehmer im Omnibusverkehr“ in Bezug nehme, werde nur die inhaltliche Dynamik auf Tarifverträge für eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern begrenzt, ohne dass sich daraus ein Hinweis ergebe, es seien nur Flächentarifverträge erfasst, die für mehrere Arbeitgeber gelten.
In der Sache sei die Regelung so auszulegen, dass der Anspruch nur einmal unabhängig von den Voraussetzungen des Tarifvertrags i.H.v. 20 % der Grundvergütung entstehe. Zweck der arbeitsvertraglichen Regelung sei es, die Voraussetzungen für die Zahlung der Zulagen zu erweitern und gleichzeitig zu vereinfachen. Die Voraussetzungen hätten aber nicht mehr vorgelegen, sobald die Haustarifverträge in Kraft traten. Mit der voraussetzungslosen Einbeziehung der Zulagen in die Grundvergütung seien die Grundlagen für ergänzende arbeitsvertragliche Zulagen entfallen. Diese sollten durch die Erhöhung der Stundenvergütung kompensiert werden.
Praxishinweis
Nachdem durch die o.g. Entscheidungen des 4. Senates aus 2018 das Tor für die Inbezugnahme von Haustarifverträgen und damit auch Sanierungstarifverträgen geschlossen schien (vgl. auch Haußmann, FD-ArbR 2018, 411980), hat der 10. Senat es wieder aufgestoßen, wenn die Bezugnahme sich auf die „für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge“ erstreckt. Das ist in der Sache richtig und ein wichtiger Hinweis für die Gestaltung von Bezugnahmeklauseln.
BAG, Urteil vom 16.06.2021 - 10 AZR 31/20 (LAG München), BeckRS 2021, 23826