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Arbeitsgerichtsverfahren während der Pandemie
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In Zeiten des Corona-Virus gestalten sich Gerichtstermine besonders aufwendig. Und Gütetermine vor den Arbeitsgerichten sind oft unergiebig. Daher: Eine Erinnerung an den „vergessenen“ § 54 Abs. 4 ArbGG.

6. Nov 2020

Schauspiel ohne Nutzen

Jeder Arbeitsrechtler kennt die heilige Zweiteilung: die Güteverhandlung und den Kammertermin. Beide finden in der Praxis im Abstand von mehreren Wochen oder Monaten statt. Der Gütetermin ist dabei meist ein Durchlauftermin und dauert etwa zehn bis fünfzehn Minuten. Er dient einer gütlichen Einigung (§ 54 Abs. 1 ArbGG). In komplexen Fällen ist es aber sehr unwahrscheinlich, dass die Parteien sich im Gütetermin einigen. Oft haben die Parteien bzw. deren Anwälte schon vor dem Gerichtsverfahren intensiv verhandelt, und die Richter kennen den Sachverhalt und die Interessenlagen der Parteien nicht gut genug, um einen sachgerechten Vorschlag machen zu können. Bis auf wirklich einfache Fälle ist der Gütetermin nur ein gesetzlich angeordnetes Schauspiel ohne Nutzen. Er beansprucht aber erhebliche Ressourcen (beispielsweise durch teilweise erhebliche Reisezeiten) und setzt aktuell die Parteien, Anwälte und Richter einem erhöhten Infektionsrisiko aus.

Eine Lösung wären Video-Verhandlungen. Aber auch ein Dreivierteljahr nach Beginn der Corona-Pandemie sind die Arbeitsgerichte in Deutschland nicht in der Lage, Video-Verhandlungen durchzuführen. Schon seit 2002 gibt es mit § 128a ZPO eine gesetzliche Grundlage dafür. Es ist richtig, dass eine Video-Verhandlung problematisch sein kann, weil die Öffentlichkeit gewahrt sein muss. Das ist aber nur ein technisches Problem, kein juristisches. Ein Beamer oder Bildschirm mit Bild-in-Bild-Anzeige lösen das Problem, und ein verschlüsselter Stream ließen die interessierte Öffentlichkeit teilhaben. Softwarelösungen dafür gibt es. Auch können die Richterinnen und Richter zwar aktuell nicht vom Homeoffice aus die Video-Konferenzen führen (obwohl § 52 ArbGG nicht vorschreibt, von wo aus die Richter die Verhandlung führen). Wenn es aber im Gerichtssaal weder Publikum noch Parteien oder Anwälte gibt, haben die Richter und die ehrenamtlichen Richter genügend Platz in jedem Saal des Arbeitsgerichts, um die notwendigen Mindestabstände einzuhalten. Es fehlt an der technischen Ausstattung – und es gibt keine Anzeichen, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändert.

Zusammenlegung als Lösung

Eine weitere Lösung wäre es, die Güteverhandlung und den Kammertermin in einem Termin stattfinden zu lassen. Das ist übrigens vom Gesetz selbst so vorgesehen. Die Güteverhandlung ist nämlich gar kein eigener Verhandlungstermin, sondern nur ein besonderer Verfahrensabschnitt einer einheitlichen mündlichen Verhandlung. Nach § 54 Abs. 4 ArbGG schließt sich an die Güteverhandlung „die weitere Verhandlung unmittelbar an“. Das bedeutet, dass nach dem gesetzlichen Leitbild Güte- und Kammerverhandlung in einem Termin stattzufinden haben. Und genau davon sollten die Arbeitsgerichte ab sofort Gebrauch machen!

Anwälte sollten daher bereits bei Klageeinreichung direkt das Abhalten der Verhandlung per Video-Konferenz vorschlagen. Außerdem sollte die Zusammenlegung von Güte- und Kammerverhandlung direkt mit der Klage beantragt werden, wenn absehbar ist, dass im Gütetermin keine Einigung gefunden werden wird. Steter Tropfen höhlt den Stein. Je mehr Kolleginnen und Kollegen mitmachen und an § 54 Abs. 4 ArbGG und dessen Zweck erinnern, umso eher bewirken wir hier eine Verhaltensänderung bei den Arbeitsgerichten. Am Ende profitieren alle davon: weniger Reisezeiten, weniger sinnlose Gütetermine, weniger Ansteckungsgefahr und mehr Zeit und Ressourcen für alle Beteiligte.

Marc Repey ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Abeln Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Berlin.