Anmerkung von
RAin Dr. Ricarda Zeh, LL.M. (Columbia), Gleiss Lutz, Stuttgart
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 17/2022 vom 05.05.2022
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Sachverhalt
Die Beklagte ist ein Verlagshaus, das mehrere Zeitungen herausgibt. Der Kläger ist für die Beklagte als Sportfotograf tätig. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung und Urlaubsansprüche. Hierfür ist entscheidend, ob der Kläger seine Tätigkeit im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses oder eines freien Dienstverhältnisses erbringt.
Der Kläger wurde zunächst anhand der Anzahl der von ihm eingereichten Bilder bezahlt. Später schlossen die Parteien einen Pauschalistenvertrag, wonach der Kläger eine Pauschale erhält. Daneben kann er Auslagen abrechnen. Der Kläger entwickelte früher seine Bilder in den Betriebsräumen der Beklagten, nutzt einen E-Mail-Account der Beklagten, nimmt aber nicht an Sitzungen der Sportredaktion teil. Er führt Umsatzsteuer an das Finanzamt ab und rechnet Spesen über das Formular für freie Mitarbeiter ab. Die DRV Bund stellte fest, es bestehe keine Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung. Nachdem der Kläger einer Vertragsänderung nicht zustimmte, kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG hat ihr teilweise stattgegeben.
Entscheidung
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das BAG hat das Urteil des LAG aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Aus Sicht des BAG genügen die Feststellungen des LAG nicht, um zu entscheiden, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis vorliegt.
Nach § 611a I BGB sei für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliege, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Hierbei müssten Grundrechte einbezogen werden. Im Bereich des Zeitungswesens verlange Art. 5 I 2 GG in der Regel eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Pressefreiheit und den durch das Arbeitsrecht geschützten Rechtsgütern. Bei den redaktionell verantwortlichen Mitarbeitern bestünde grundsätzlich ein Bedarf an freien Mitarbeitern. Redaktionell verantwortlich seien Mitarbeiter, die am Inhalt des redaktionellen Teils der Zeitung gestaltend mitwirken – typischerweise durch Einbringen ihrer eigenen Auffassung, ihren Fachkenntnissen oder ihren individuellen künstlerischen Befähigungen. Auch bei solchen Mitarbeitern kann ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn sie weitgehend inhaltlichen Weisungen unterliegen, ihnen also nur wenig Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative oder Selbständigkeit verbleibt. Bei nicht redaktionell verantwortlichen Mitarbeitern ist die Arbeitnehmereigenschaft anhand der allgemeinen Kriterien zu prüfen und es werde häufiger ein Arbeitsverhältnis anzunehmen sein.
Grundsätzlichen hätten die Tatsacheninstanzen einen weiten Beurteilungsspielraum. Das LAG habe vorliegend aber Gesichtspunkte berücksichtigt, zu denen es keine Tatsachenfeststellungen getroffen habe, den Vortrag der Parteien nicht vollständig gewürdigt und versäumt, die Gewichtung einzelner Aspekte in seiner Gesamtabwägung zu erläutern. Für den Status des Klägers nicht entscheidungserheblich seien die Feststellung der DRV Bund, die steuerrechtliche Behandlung des Rechtsverhältnisses sowie der Umstand, dass der Kläger ein Festgehalt bezog. Die Modalitäten der Bezahlung seien „statusneutral“. Auch die Reisekostenerstattung spreche weder für noch gegen ein Arbeitsverhältnis, da § 670 BGB einen allgemeinen Rechtsgrundsatz regle, der aber nicht nur im Arbeitsverhältnis gelte.
Praxishinweis
Der 9. Senat führt fast lehrbuchartig aus, welche Kriterien nach § 611a BGB zur Frage der Arbeitnehmereigenschaft im Allgemeinen und im Zeitungswesen im Besonderen zu prüfen sind und wie gerade die Pressefreiheit in der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen ist. Dabei veranschaulicht der Senat sehr nachvollziehbar, welche Kriterien für die Qualifizierung des Vertragsverhältnisses keine Rolle spielen und welche dagegen vom Tatsachengericht geprüft und gewürdigt werden müssen.
BAG, Urteil vom 30.11.2021 - 9 AZR 145/21 (LAG Köln), BeckRS 2021, 49342