Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.
Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 14/2020 vom 30.07.2020
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Sachverhalt
Die Kläger sind Vermieter einer Gewerberaumimmobilie und haben gegen den Hauptmieter ein Räumungsurteil erwirkt. Im Anschluss daran scheiterte die Räumung, da ein Dritter behauptete, Untermieter zu sein und gegen diesen kein Vollstreckungstitel vorlag. Die Kläger erwirkten eine einstweilige Verfügung, die vom Landgericht Hannover aufgehoben wurde. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung.
Entscheidung
Die Berufung der Verfügungskläger ist nicht begründet.
Das Landgericht Hannover habe die einstweilige Verfügung vom 27.09.2019, durch welche die Verfügungsbeklagte verpflichtet worden ist, die streitgegenständlichen Räume zu räumen und an die Verfügungskläger herauszugeben, zu Recht aufgehoben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Räumungsverfügung seien zum damaligen Zeitpunkt und auch jetzt nicht gegeben.
Das Erstgericht habe in dem angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt, dass den Verfügungsklägern zwar ein Räumungs- und Herausgabeanspruch zustehe, es jedoch an dem für den Erlass einer einstweilen Verfügung erforderlichen Verfügungsgrund im Sinne von § 940a Abs. 2 ZPO fehle. Nach dieser Vorschrift dürfe die Räumung von Wohnraum durch eine einstweilige Verfügung auch gegen einen Dritten angeordnet werden, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt habe. Sowohl die Überschrift dieser Norm als auch deren eindeutiger Wortlaut machen deutlich, dass diese Vorschrift ausschließlich auf Mietverhältnisse über Wohnraum anwendbar sei. Eine analoge Anwendung auf Geschäftsraummietverhältnisse scheide aus.
Die in der Vorschrift des § 940a ZPO zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung könne auch nicht über die Vorschrift des § 940 ZPO als „Ankernorm“ auf Geschäftsraummietverhältnisse übertragen werden. Sowohl die Überschrift der Norm des § 940a ZPO sowie dessen unzweideutiger Wortlaut machen deutlich, dass es sich um eine Norm handle, die ausschließlich auf Wohnraum Anwendung finde. Sie sei daher nicht, auch nicht analog anwendbar, wenn es um die Räumung von Gewerberaum gehe.
Es bestehe ein signifikanter Unterschied in der rechtlichen Bewertung von Wohnraum- und Gewerberaummietverhältnissen. Dies verdeutliche in aller Schärfe die Vorschrift des § 578 BGB, die enumerativ nur ganz bestimmte Vorschriften des bürgerlichen Rechts, die für Wohnraummietverhältnisse gelten, für das Recht der Gewerberaummiete für anwendbar erklärt. Gerade wenn aber eine Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich auf Wohnraummiete Anwendung finde, indiziere bereits dies, dass die dieser Norm zugrundeliegende Wertentscheidung des Gesetzgebers eben nicht auf die Gewerberaummiete übertragen werden könne.
Auch liege keine Regelungslücke vor, die eine analoge Anwendung rechtfertige.
Praxishinweis
Das OLG Celle folgt seiner bisherigen Ansicht (Beschluss vom 24.11.2014 – 2 W 237/14, NJW 2015, 711), wonach § 940a ZPO ausschließlich auf Wohnraummietverhältnisse Anwendung findet.
Hiergegen haben in letzter Zeit – jüngst unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung das KG (Beschluss vom 09.05.2019 - 8 W 28/19, BeckRS 2019, 9618) verschiedene Oberlandesgerichte gegenteilige Entscheidungen getroffen (OLG Dresden, Urteil vom 29.11.2017 - 5 U 1337/17, BeckRS 2017, 134250; OLG München, Beschluss vom 12.12.2017 - 32 W 1939/17, BeckRS 2017, 139505), wonach im Rahmen der Prüfung des § 940 ZPO bei einer Räumung von gewerblich gemieteten Räumen im Eilverfahren auch die Räumung gegen einen Dritten – nach Maßgabe des § 940a Abs. 2 ZPO – möglich ist.
Die letztgenannte Meinung verdient den Vorzug. Anderenfalls bliebe dem Vermieter, der einen Räumungstitel gegen den Hauptmieter erwirkt und dem sich erst beim Räumungstermin neue Untermieter vorstellen, nur die Möglichkeit, eine neue Räumungsklage gegen diese anzustreben, um auch gegen sie einen Räumungstitel zu erhalten. Dieser Vorgang könnte beliebig oft wiederholt werden; dem Vermieter wäre auf Dauer die Erlangung des Besitzes verwehrt. Im Übrigen spricht für die Übertragung des Grundgedankens des § 940a Abs. 2 ZPO auf das Gewerberaummietrecht eine Erst-Recht-Schluss: Wenn schon gegen einen besonders geschützten Wohnungsuntermieter im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine Räumung allein aufgrund eines Titels gegen den Hauptmieter möglich ist, dann muss dies erst Recht bei einem weniger geschützten Gewerberaumuntermieter gelten.
Dabei kann die Frage, ob § 940a ZPO analog auf Räumung von Gewerberaum anzuwenden ist, dahinstehen, denn der Verfügungsgrund des § 940a Abs. 2 ZPO ist zugleich ein „anderer Grund“ im Sinne des § 940 ZPO (Klüwer ZMR 2018, 196; Vollkommer in Zöller, 33. Auflage 2020, § 940a ZPO Rn 4, OLG Dresden aaO).
OLG Celle, Urteil vom 09.01.2020 - 2 U 116/19 (LG Hannover), BeckRS 2020, 10