Anmerkung von
Senator E. h. Ottheinz Kääb, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, München
Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 15/2021 vom 05.08.2021
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BGB §§ 826, 852 Satz 1
Sachverhalt
Der Kläger erwarb am 04.05.2015 bei einer Firma, die ausdrücklich im Namen der Beklagten handelte, einen neuen VW Touran. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor samt Abschalteinrichtung vom Typ EA189 ausgestattet. Die Öffentlichkeit wurde über die Abschalteinrichtung informiert, die jedenfalls nicht vom Kraftfahrtbundesamt als ordnungsgemäß angesehen werde und daher entfernt werden müsse. Nach dieser ad-hoc-Mitteilung hat der Hersteller die jeweiligen Kunden – auch den Kläger – angeschrieben und ein Sortware-Update entwickelt. Dieses wurde auch aufgespielt, sodass dann einer Billigung durch das Kraftfahrbundesamt nichts mehr im Wege stand.
Die Klageschrift datiert vom 11.12.2020 und wurde der Beklagten am 30.12.2020 zugestellt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 23.03.2021 hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 59.749. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem OLG-Senat hatte das Fahrzeug einen Kilometerstand von 60.901.
Rechtliche Wertung
Das Landgericht hatte die Klage wegen Verjährung abgewiesen und einen (Rest-)Schadenersatzanspruch des Klägers nach § 852 BGB abgelehnt. Gegen dieses Urteil hatte der Kläger Berufung eingelegt. Das OLG hat die Beklagte darin zur Zahlung eines bestimmten Betrages nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Touran verurteilt. Der Ersatz von Anwaltskosten wurde abgelehnt. Die Klage im Übrigen wurde abgewiesen und die weitergehende Berufung des Klägers zurückgewiesen. Über das Maß der Verurteilung gibt die Kostenentscheidung am besten Auskunft. In erster Instanz hat die Beklagte 4/5 zu tragen und in zweiter Instanz hat die Beklagte 9/10 der Kosten zu tragen.
Der Senat führte aus, dass die Klagepartei einen Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB habe. Bei der Berechnung eines Vorteilsausgleichs allerdings müsse eine Nutzungsentschädigung in Höhe von rund 8.100 EUR Vorteil angerechnet werden.
Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig. Aus der Geschichte der Entwicklung des Dieselmotors und den Verkaufsargumenten ergebe sich, dass nicht irgendein subalterner Angestellter aufgrund eines «Verhaltensexzesses» für die Abschalteinrichtung verantwortlich sei, sondern dass die Verantwortung in den obersten Etagen der Beklagten zu suchen sei. Der Entwickler eines Messgerätes, die Firma B., habe schon im Jahr 2007 die Beklagte ausdrücklich davor gewarnt, die von der Firma B. entwickelte Software auch einzusetzen. Es habe sich um eine Testentwicklung gehandelt, die gesetzeswidrig sei. Der Vorstandsvorsitzende der Beklagten habe am 08.11.2007 an einem – nochmaligen – Gespräch mit der Firma B. teilgenommen, in dem über den Einsatz dieser makelbehafteten Software gesprochen worden sei. Es seien auch weitere Personen des Vorstandes in die Entscheidung mit eingebunden gewesen und spätestens seit dem Jahr 2008 habe die Beklagte mit einer Steigerung der Umsatzwerte geworben und damit, wie emissionsarm Dieselfahrzeuge mittlerweile konstruiert werden könnten.
Solches Verhalten sei auch verwerflich. Dass der Kläger Einzelheiten dieser Fehlentwicklung nicht nachweisen könne, sei klar. Die Beklagte treffe hier eine sekundäre Beweislast. Wenn sie auf die Behauptung der Klagepartei, die Installation der Abschalteinrichtung sei mit Wissen und Wollen eines oder mehrerer Mitglieder des Vorstandes oder Repräsentanten erfolgt, antworte, dass sie «nach jetzigem Erkenntnisstand» nicht wisse, welche Kenntnisse wer gehabt habe, so liege ein unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen vor. Dieses sei noch dazu im Hinblick auf die sekundäre Darlegungslast nach § 138 ZPO unbeachtlich. Die Erfolglosigkeit von Nachforschungen im Konzern könne die Beklagte keinesfalls retten. Die Entscheidung für den Einsatz dieser mangelbehafteten Software in der Serienproduktion sei in besonders grobem Maße sittenwidrig.
Soweit eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB ausscheide, müsse ein weisungsgebundener Arbeitnehmer die Entscheidung getroffen haben. Ein solcher aber wäre dann Verrichtungsgehilfe. Sei er aber Verrichtungsgehilfe nach § 831 BGB, so seien die gleichen Voraussetzungen an die Beklagte zum Vortrag und zum Beweisantritt zu stellen.
Liegen nach diesen Feststellungen also zunächst die Voraussetzungen vor, eine Haftung zu begründen, so sind die Ansprüche des Klägers – auf den ersten Blick betrachtet – verjährt. Allerdings dürfe nicht übersehen werden, dass eine Verjährung dann nicht greife, wenn die Rechtsgrundsätze der ungerechtfertigten Bereicherung greifen. Dies aber sei hier der Fall. Nach § 852 S. 1 BGB habe die Beklagte den aus der Veräußerung des Fahrzeugs erzielten Kaufpreis zu ersetzen. Der sei allerdings der Höhe nach begrenzt durch den verjährten Anspruch. Auch wenn also der Weg ein völlig anderer sei als zunächst angenommen, komme ddieser Weg letztlich nahezu zum selben Ergebnis.
In diesem Zusammenhang sei auch noch zu betrachten, so das OLG weiter, dass die Klagepartei keinen Anspruch auf Erstattung außergerichtlich entstandener Anwaltskosten habe. Das liege daran, dass die Anwälte (offenkundig?) einen bedingten Prozessauftrag hatten, also eben gerade nicht damit beauftragt waren, außergerichtlich Ansprüche anzumelden und durchzusetzen. Dies habe die Klagepartei zwar behauptet, aber dieses Vorbringen stehe im Widerspruch zu den vorgerichtlichen Schreiben. Denn in diesen werde ausgeführt, dass die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei «ohne weitere Erinnerung den gerichtlichen Weg beschreiten werden», wenn nicht innerhalb einer knapp gesetzten Frist Antwort erteilt werde. Tatsächlich wurde denn auch unmittelbar nach Ablauf der gesetzten Frist Klage eingereicht. Für eine außergerichtliche Tätigkeit wird also entgegen dem Wortlaut des Schreibens nichts vorgetragen.
Praxishinweis
Die Entscheidung ist für die Praxis sehr wesentlich. Dieselprozesse haben wir, auch im Rahmen unserer Berichterstattung, schon sehr häufig gehabt. Die Rechtsgrundlagen zu den §§ 826 und 852 BGB werden in dieser Entscheidung geradezu mustergültig Stück für Stück logisch aufgearbeitet und dem Leser des Urteils vorgestellt. Die Entscheidung ist für einen Laien schwer verständlich, aber mit einigem Bemühen gelingt es, auch den Mandanten von der Richtigkeit dieser Entscheidung zu überzeugen. Juristen werden glücklich sein über die Fülle der Zitate, die sich im Urteil befinden und über die sehr systematische Betrachtung der hier erwähnten Rechtsprobleme, aber auch darüber hinaus weiterer Umstände, die bei der juristischen Durchleuchtung des komplexen Sachverhalts auftreten. Für die Praxis ist die Entscheidung außerordentlich wichtig.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.07.2021 - 13 U 168/21 (LG Konstanz), BeckRS 2021, 18304