Glosse
Anwaltskunst
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Anwaltstätigkeit ist hohe Kunst, wer wollte das bestreiten. Das muss sich auch in der Vergütung widerspiegeln. So jedenfalls das Amtsgericht Leverkusen, das zur Begründung ein chinesisches Märchen über einen Künstler und den Kaiser ins Feld führte. Das Urteil ist damit wie gemacht für unsere Rechtsprechungsglosse.

29. Jun 2020

Liebe Leser, stellen Sie sich mal folgende, völlig frei erfundene Situation vor: Auf einer virtuellen Fachtagung zur Zukunft der Anwaltschaft hat man Ihnen und rund 2.500 weiteren Kollegen erzählt, Ihre Chance liege in den Nischen, die die Konkurrenz noch nicht entdeckt hat. Mit anderen Worten: Der Generalist ist tot, es lebe der Mikrospezialist, und nur der frühe Vogel fängt den Wurm. Noch ganz beeindruckt von dem Gehörten, machen Sie sich umgehend daran, die bislang von der Konkurrenz noch nicht entdeckten Nischen zu besetzen. Da kommt es Ihnen gelegen, dass ein langjähriger Mandant Ihnen kürzlich eine Einladung zu einer Vernissage zugesteckt hat, die einem Künstler gewidmet ist, dessen Werke auffallende Ähnlichkeit mit den Bildern Ihrer fünfjährigen Tochter aufweisen. Darüber sehen Sie großzügig hinweg; schließlich wurde die Vernissage von der neuen Lebensgefährtin Ihres Mandanten kuratiert. Vielleicht ergibt sich ja beim Smalltalk, der Ihnen mit einem Glas Sekt allenfalls mittlerer Art und Güte locker gelingt, das Mandat, das Sie bis zur Altersgrenze beschäftigen wird. Sie machen sich also auf den Weg zur Vernissage. Dort entwickeln sich die Dinge wie erwartet. Trotz Corona werden Sie von einer Ihnen völlig fremden Person mit Küsschen begrüßt und gleich geduzt. Die Bilder taugen nichts, die mit falschem Kaviar garnierten Häppchen und der lauwarme Sekt auch nicht. Und dann hat irgendein Lebenskünstler auch noch mitbekommen, dass Sie Anwalt sind. Sie müssen sich daraufhin seine jüngsten Rechtsprobleme anhören, von denen Ihr Gesprächspartner eine Menge hat, vor allem aus dem Bereich „Verkehrsrecht im weiteren Sinne“. Die sollen Sie mal eben lösen. Ihre zaghafte Andeutung, dass so was normalerweise was kostet, quittiert der Lebenskünstler mit einem verschwörerischen Ellbogenrempler und dem Hinweis, Sportsfreunde müssten zusammenhalten. Um die Dinge abzukürzen, stimmen Sie zu, obwohl Ihr Gegenüber aussieht, als ob die letzte Leibesertüchtigung schon sehr, sehr lange zurückliegt. Spätestens jetzt wissen Sie, dass Sie wieder mal ein Pro-bono-Mandat an Land gezogen haben – im Gegensatz zu dem Kollegen, mit dem das AG Leverkusen jüngst zu tun hatte (Urt. v. 27.5.2020 – 27 C 135/19).

In dem Fall ging es um eine Kostennote, die der Beklagten heillos überzogen erschien. 226,10 Euro forderte ihr Anwalt für seine Beratung in einer arbeitsrechtlichen Angelegenheit. Ja, sie habe unterschrieben, dass sie über das Kostenrisiko aufgeklärt worden sei. Aber was hat man nicht schon alles unterschrieben??? Hat man deshalb gleich den gesamten Waschmaschinenpark des örtlichen Elektrofachmarkts aufgekauft? Bei der Ausgangslage ist jedem sofort klar, dass man es mit einem Appell an den gesunden Menschenverstand erst gar nicht zu versuchen braucht. Das AG ging deshalb einen neuen Weg, um bei der Beklagten um Akzeptanz für seinen Richterspruch zu werben. Dabei musste es weder die Rechtsprechung noch die Literatur und erst recht nicht das Bundesverfassungsgericht bemühen. Ihm reichte ein chinesisches Märchen, in dem es um die angemessene Vergütung eines Künstlers ging. Zwar sei ein Anwalt kein Künstler; er werde aber nicht nur für die Zeit der Beratung, sondern auch für die Inanspruchnahme seines Wissens vergütet. Wer wollte dem widersprechen? (Entscheidung nebst Märchen sind im Volltext abrufbar unter BeckRS 2020, 10998). •

Dr. Monika Spiekermann.