Urteilsanalyse
Anwaltliche Schriftsätze genießen nicht automatisch urheberrechtlichen Schutz
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Anwaltliche Schriftsätze genießen nach Ansicht des OLG Düsseldorf nur dann urheberrechtlichen Schutz, wenn und soweit sie aufgrund objektiv eindeutiger und hinreichend genau identifizierbarer inhaltlicher oder formaler Umstände das Ergebnis einer eigenen schöpferischen Tätigkeit des Rechtsanwalts sind und ihr Aufbau und/oder Inhalt nicht durch sachliche Notwendigkeiten oder eine bestehende Zweckmäßigkeit vorgegeben ist.

15. Jun 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 12/2022 vom 15.06.2023

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Sachverhalt

In einem Arzthaftungsprozess begehrte die gesetzliche Krankenkasse des Klägers Einsicht in die Gerichtsakten, soweit es um den geltend gemachten Behandlungsfehler geht. Der Anwalt des Klägers widersprach dem, die Akteneinsicht wurde gleichwohl nach § 299 Abs. 2 ZPO bewilligt. Dagegen wandte sich der Anwalt mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er meinte, die Überlassung seiner in der Prozessakte enthaltenen Schriftsätze verletze sein Urheberrecht, sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und seine Berufsausübungsfreiheit und müsse daher unterbleiben. Die Krankenkasse könne seine anwaltlichen Dienste gegen Entgelt in Anspruch nehmen, statt durch Akteneinsicht «abzukupfern».

Entscheidung: Keine schöpferische Leistung des Anwalts feststellbar

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung blieb ohne Erfolg.

Der Antrag sei zwar zulässig. Denn der Anwalt sei insbesondere antragsbefugt, weil er geltend mache, durch die behördliche angeordnete Gewährung der Akteneinsicht in eigenen Rechten, vor allem in seinem Urheberrecht, verletzt zu sein (§ 24 Abs. 1 EGGVG). Der Antrag sei aber unbegründet. Die von ihm gefertigten Schriftsätze genössen keinen urheberrechtlichen Schutz. Der vom EuGH harmonisierte Werkbegriff setze zum einen voraus, dass es sich um die eigene geistige Schöpfung des Urhebers handele, der darin seine eigene Kreativität zum Ausdruck bringe. Dies treffe nicht zu, wenn die Erstellung des Werkes durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt werde. Zum anderen müsse ein Werk einen objektiv eindeutigen und hinreichend genau identifizierbaren Gegenstand beinhalten, der Ergebnis der schöpferischen Tätigkeit sei. Es müsse also klar erkennbar sein, was Gegenstand des urheberrechtlichen Schutzes sei und worin die schöpferische Leistung des Urhebers ihren Ausdruck gefunden habe. Ein hoher Arbeitsaufwand oder das Erfordernis einer besonderen Sachkenntnis oder eines speziellen Wissens bei der Erstellung genügten nicht für das Vorliegen eines Werkes.

Eine schöpferische Leistung des Anwalts bei der Formulierung und Abfassung seiner in Rede stehenden Schriftsätze lasse sich nicht feststellen. Weder seine Klageschrift noch seine weiteren Schriftsätze ließen irgendeine objektiv eindeutige und hinreichend genau identifizierbare schöpferische Leistung erkennen. Aufbau und Inhalt der Schriftsätze würden vielmehr durch den Prozessstoff und die Gebote der Zweckmäßigkeit bestimmt und gingen nicht ansatzweise über dasjenige hinaus, was der Sache nach vernünftigerweise niederzulegen gewesen sei. Der Antragsteller könne sich ebenso wenig mit Erfolg auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) und seine Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) berufen, weil jedenfalls das Informationsinteresse der Krankenkasse das wirtschaftliche Interesse des Anwalts überwiege, die Krankenkasse durch seinen Widerspruch gegen ihr Akteneinsichtsgesuch zu einer Mandatierung zu bewegen. Dafür spreche schon die in § 299 Abs. 2 ZPO getroffene Grundentscheidung des Gesetzgebers, mit der das Anliegen des Anwalts unvereinbar sei. Dieser würde sich nicht nur faktisch ein in § 299 Abs. 2 ZPO nicht vorgesehenes eigenes Widerspruchsrecht verschaffen, sondern überdies das in der Vorschrift normierte Recht der Prozessparteien, dem Akteneinsichtsgesuch zuzustimmen und dadurch die Möglichkeit einer Einsichtnahme dritter Personen in die Gerichtsakte zu erleichtern, entwerten.

Praxishinweis

Personen, die nicht Partei sind, darf gemäß § 299 Abs. 2 ZPO Akteneinsicht nur gewährt werden, wenn alle Parteien zustimmen oder wenn sie ein rechtliches Interesse glaubhaft machen (Bacher in BeckOK ZPO, 48. Edition, 01.03.2023, ZPO § 299 Rn. 26). Ein rechtliches Interesse ist zu bejahen, wenn Akteneinsicht zur Verfolgung oder Abwehr von Ansprüchen durch den Antragsteller benötigt wird und diese einen rechtlichen Bezug zu dem Verfahren aufweisen, in dem Akteneinsicht begehrt wird (Bacher in BeckOK ZPO, 48. Edition, Stand 01.03.2023, § 299 Rn. 28). Diese Voraussetzung ist zum Beispiel erfüllt, wenn ein Rechtsschutzversicherer überprüfen will, wie die von ihm verauslagten Kostenvorschüsse verwendet worden sind, oder ob Regressansprüche gegen den Anwalt des Versicherten bestehen (Bacher in BeckOK ZPO, 48. Edition Stand 01.03.2023 ZPO § 229 Rn. 28.1).

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.05.2023 - 3 Va 2/23, BeckRS 2023, 11200