Urteilsanalyse
Anwaltliche Hinweispflicht auf Höhe der Gebühren nur in Ausnahmefällen
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Ungefragt schuldet der Rechtsanwalt seinem Auftraggeber grundsätzlich keinen Hinweis auf die bisher entstandenen oder noch entstehenden Gebühren. Nur auf Verlangen des Auftraggebers hat der Rechtsanwalt die voraussichtliche Höhe seines Entgelts mitzuteilen. Allerdings kann sich - so das OLG München - aus besonderen Umständen des Einzelfalles nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Pflicht des Rechtsanwalts ergeben, den Auftraggeber auch ungefragt über die voraussichtliche Höhe seiner Vergütung zu belehren. Maßgeblich sei letztlich, ob der Rechtsanwalt nach den Umständen des Einzelfalls ein entsprechendes Aufklärungsbedürfnis erkennen konnte und musste.


18. Mrz 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 05/2022 vom 11.03.2022

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Sachverhalt

Der Kläger beauftragte den beklagten Anwalt, einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, mit der gerichtlichen Vertretung in einem Kündigungsschutzprozess. Die Parteien schlossen eine Vergütungsvereinbarung, die für den Anwalt ein Stundenhonorar von 340 EUR netto, mindestens aber das gesetzliche Honorar vorsah. Die Vereinbarung enthielt zudem eine «Nachverhandlungsklausel» für ein Pauschalhonorar, das sich am dreifachen der gesetzlichen Vergütung orientieren und dem Verlauf und den Besonderheiten des Mandats Rechnung tragen sollte, wobei eine Abfindung dem Gegenstandswert hinzuzurechnen sei. Das Verfahren endete durch Vergleich, der unter anderem eine Abfindungszahlung von 60.000 EUR brutto regelte. Einige Tage nach dem Vergleich unterzeichneten die Parteien in der Kanzlei eine weitere Vergütungsvereinbarung, welche die erste Vereinbarung ersetzte und ein Pauschalhonorar von 12.000 EUR brutto vorsah. Der Anwalt rechnete mit der Rechtsschutzversicherung des Klägers die gesetzliche Vergütung von 3.305,82 EUR ab und verrechnete die vom Arbeitgeber auf sein Anderkonto bezahlte Abfindungsleistung mit seinem restlichen Vergütungsanspruch aus dem Pauschalhonorar. Der Kläger verklagte seinen Anwalt auf Zahlung der verrechneten Abfindung. Das LG gab der Klage weit überwiegend statt, da der Anwalt den Kläger vor Abschluss der zweiten Vergütungsvereinbarung über die sich aus der ersten Vergütungsvereinbarung ergebende Vergütung hätte aufklären müssen. Der Anwalt legte Berufung ein.

Entscheidung: Kein Aufklärungsbedürfnis beim Kläger

Die Berufung hatte Erfolg. Das OLG hat das LG-Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die zweite Vergütungsvereinbarung sei nicht zu beanstanden, das vereinbarte Pauschalhonorar (3,6-fache der gesetzlichen Gebühren des Beklagten) unter Berücksichtigung der konkreten Umstände (bewusste Mandatierung des Beklagten als «harten Hund», hohes Gehalt, hohe Abfindung trotz relativ kurzer Beschäftigung) nicht unangemessen. Der Kläger habe auch keinen Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht. Eine gesetzliche Regelung zur Hinweispflicht des Rechtsanwalts finde sich lediglich in § 49b Abs. 5 BRAO. Ungefragt schulde der Rechtsanwalt seinem Auftraggeber in allen anderen Fällen grundsätzlich keinen Hinweis auf die bisher entstandenen oder noch entstehenden Gebühren. Nur auf Verlangen des Auftraggebers müsse der Rechtsanwalt die voraussichtliche Höhe seines Entgeltes mitteilen. Allerdings könne sich aus besonderen Umständen des Einzelfalls nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Pflicht des Rechtsanwalts ergeben, den Auftraggeber auch ungefragt über die voraussichtliche Höhe seiner Vergütung zu belehren. Maßgeblich sei letztlich, ob der Rechtsanwalt nach den Umständen des Einzelfalles ein entsprechendes Aufklärungsbedürfnis erkennen konnte und musste.

Der Beklagte habe den Kläger nach Würdigung der Einzelfallumstände nicht vor Abschluss der zweiten Vergütungsvereinbarung über die aus der ersten Vergütungsvereinbarung entstandene Vergütung aufklären müssen. Das vom Kläger behauptete grobe Ungleichgewicht in der Verhandlungsposition sieht der Senat in der vorliegenden Konstellation nicht. Der Kläger habe sich freiwillig und nach einer bereits abgeschlossenen Vergütungsvereinbarung in die Kanzlei begeben. Zu diesem Zeitpunkt sei der Vergleich bereits abgeschlossen und der arbeitsgerichtliche Termin aufgehoben gewesen. Der Kläger sei also nicht vom Wohlwollen des Beklagten im Hinblick auf dessen Verhandlungstätigkeit abhängig gewesen. Zudem hätte der Kläger den Beklagten vor Abschluss der zweiten Vereinbarung nach der Höhe der bisher entstandenen Vergütung fragen können. Auf entsprechendes Verlangen des Klägers wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, dies mitzuteilen. Der Kläger habe angesichts der «Nachverhandlungsklausel» in ersten Vereinbarung (Orientierung am Dreifachen der gesetzlichen Vergütung) auch mit einer deutlich höheren als der gesetzlichen Vergütung rechnen müssen. Laut OLG bedeutet seine Entscheidung aber nicht, dass die Vorgehensweise des Beklagten nicht in anderen Fallkonstellationen einer Sanktionierung unterliegen könne.

Praxishinweis

Die Hinweispflicht des Rechtsanwalts wurde bejaht, wenn die Höhe der Gebühren das vom Mandanten erfolgte Ziel wirtschaftlich sinnlos macht, wenn für eine vergleichbare frühere Tätigkeit der Rechtsanwalt circa 3.100 EUR berechnet hatte und er nunmehr circa 150.000 EUR verlangt, wenn ein Rechtsanwalt als Verkehrsanwalt beauftragt werden soll (er muss darauf hinweisen, dass die Erstattung dieser Kosten nicht erfolgen wird oder zumindest zweifelhaft ist) oder wenn der Auftraggeber von einem Kostenerstattungsanspruch gegen den Gegner ausgeht, der aber wegen dessen Vermögenslosigkeit wohl nicht verwirklicht werden kann (siehe hierzu näher Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, § 1 RVG Rn. 144).

OLG München, Urteil vom 02.02.2022 - 15 U 2738/21 Rae (LG München I), BeckRS 2022, 2411