Urteilsanalyse
Anwalt muss Mandanten über Vor- und Nachteile beabsichtigten Vergleichs beraten
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Der Rechtsanwalt ist laut BGH im Grundsatz gehalten, dem Mandanten eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichs zu ermöglichen. Hierzu hat er den Mandanten über die Vor- und Nachteile des Vergleichs zu beraten. Die Beratungsbedürftigkeit entfällt erst dann, wenn der Mandant aus anderen Gründen über die Vor- und Nachteile des Vergleichs im Bilde ist. Dies muss der Rechtsanwalt darlegen und beweisen.

4. Jul 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 13/2023 vom 29.06.2023

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BGB §§ 280 I675

Sachverhalt

Nach Drainage- und Abdichtungsarbeiten durch einen Garten- und Landschaftsbaubetrieb monierte der Kläger Feuchteschäden an seinem Haus. Nachdem außergerichtliche Bemühungen des klägerischen Anwalts gescheitert waren, leitete dieser ein selbständiges Beweisverfahren ein. Noch vor Beginn der Aufgrabungen bei einem zweiten Ortstermin, an dem die Ehefrau des Klägers, der Anwalt und der beauftragte Privatsachverständige teilnahmen, kam es zu Vergleichsgesprächen. Schließlich wurde ein gerichtlicher Vergleich geschlossen, durch den sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus dem Vertrag über die Drainage- und Abdichtungsarbeiten abgegolten und erledigt sein sollten. Der Kläger behauptete, die tatsächlichen Mängelbeseitigungskosten betrügen mehr als das Vierfache der Vergleichssumme von 55.000 EUR. Er verlangte von seinem Anwalt Schadensersatz in Höhe des Differenzbetrages. Er warf ihm vor, über die Folgen eines (Abfindungs-)Vergleichs nicht ordnungsgemäß beraten zu haben. In den Vorinstanzen blieb der Kläger ohne Erfolg. Das OLG war der Ansicht, die Abgeltungsklausel in dem Vergleich habe keine besondere Beratungspflicht des Anwalts ausgelöst. Der Kläger legte (die zugelassene) Revision ein.

Entscheidung: Anwalt trägt Darlegungs- und Beweislast für fehlende Beratungsbedürftigkeit

Die Revision hatte Erfolg. Der BGH hat den OLG-Beschluss aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Der Rechtsanwalt müsse seinen Mandanten in die Lage versetzten, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Abschluss eines Vergleichs zu treffen. Dazu müsse er ihn über die Vor- und Nachteile des Vergleichs beraten, und zwar unabhängig vom vorgesehenen Inhalt des Vergleichs. Inhalt und Komplexität des Vergleichs beeinflussten lediglich Art und Umfang der Beratungspflichten. Die Prüfung des Berufungsgerichts, ob die Abgeltungsklausel eine besondere Beratungspflicht des beklagten Anwalts ausgelöst habe, sei somit rechtsfehlerhaft gewesen. Der beklagte Anwalt hätte den Kläger über den Vergleich, insbesondere im Hinblick auf die Abgeltungsklausel, beraten müssen.

Auch die Ansicht des OLG, es habe keine Prognoseschwierigkeiten gegeben, treffe nicht zu. Im maßgeblichen Zeitpunkt vor Abschluss des Vergleichs sei nicht abschließend geklärt gewesen, in welchem Umfang das Werk des Garten- und Landschaftsbaubetriebs mangelhaft gewesen sei und ob im Zuge der durchgeführten Arbeiten das Eigentum des Klägers beschädigt worden sei. Die unklare Lage im Zusammenspiel mit der Abgeltungsklausel habe den Anwalt verpflichtet, den Kläger über das Risiko aufzuklären, dass die tatsächlichen Mangelbeseitigungskosten die Vergleichssumme von 55.000 EUR übersteigen könnten, der Kläger solche Mehrkosten selbst zu tragen hätte und ihr Ausmaß zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht festgestanden habe. 

Zwar sei nicht jeder Mandant beratungsbedürftig. Dies gelte auch im Fall der beabsichtigten Beendigung einer Rechtsangelegenheit durch Vergleich. Sei der Mandant aus anderen Gründen über die Vor- und Nachteile im Bilde und deshalb in der Lage, eine eigenverantwortliche und sachgerechte Entscheidung über den Vergleich zu treffen, bedürfe es keiner (zusätzlichen) Beratung durch den Rechtsanwalt. Habe der Anwalt seinen Mandanten nicht oder nicht ausreichend über die Vor- und Nachteile eines Vergleichs beraten und aufgeklärt, treffe ihn aber die Darlegungs- und Beweislast, dass der Mandant in dieser Hinsicht nicht beratungsbedürftig gewesen sei. Daher sei die Annahme des OLG, der Kläger habe nicht ausreichend aufgezeigt, dass er die Bedeutung der Abgeltungsklausel nicht gekannt und sein Anwalt dies erkannt habe, ebenfalls rechtsfehlerhaft.

Praxishinweis

Der BGH unterstreicht in der berichteten Entscheidung seine strengen Anforderungen, die er an die Erfüllung der anwaltlichen Beratungspflicht im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Vergleichs stellt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch, dass laut BGH der Anwalt die Darlegungs- und Beweislast trägt, dass eine Beratungsbedürftigkeit des Mandanten entfallen ist (siehe hierzu näher in diesem Zusammenhang auch: Heermann in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2023, BGB § 675 Rn. 29).

BGH, Urteil vom 20.04.2023 - IX ZR 209/21 (OLG München), BeckRS 2023, 12991