Urteilsanalyse
Anwälte müssen bei Hinweis per E-Mail auf drohenden Ablauf einer Rechtsmittelfrist Lesebestätigung anfordern
Urteilsanalyse
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Will ein Rechtsanwalt die Partei per E-Mail auf den unmittelbar bevorstehenden Ablauf einer Rechtsmittelfrist hinweisen und sie zur Einlegung des Rechtsmittels motivieren, muss er nach einem Beschluss des BGH die E-Mail mit Anforderung einer Lesebestätigung versenden, um die Kenntnisnahme der Nachricht durch die Partei sicherzustellen.

14. Feb 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 03/2022 vom 11.02.2022

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Sachverhalt

Im Streit um wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche legte die Beklagte Revision gegen das Berufungsurteil ein und beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsfrist. Ihre Anwälte hatten in zwei Schreiben und drei E-Mails unter Hinweis auf Revisionsfrist die Einlegung der Revision empfohlen. Der Prokurist der Beklagten hatte die Schreiben und Mails erhalten und wollte einen Tag vor Fristablauf die Anwälte per E-Mail mit der Durchführung des Revisionsverfahrens beauftragen. Bei den Anwälten ging eine solche E-Mail aber nicht ein. Mangels Rückmeldung der Beklagten schickten die Anwälte ihr am Tag des Fristablaufs eine weitere E-Mail, in der sie erneut auf die ablaufende Revisionsfrist hinwiesen. Diese E-Mail ging bei der Beklagten nicht ein. Die Beklagte führte die Probleme bei der Korrespondenz auf technische Probleme in ihrem E-Mailsystem zurück.

Entscheidung: E-Mail hätte mit Anforderung einer Lesebestätigung versandt werden müssen

Der BGH hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Revision verworfen.

Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Fristversäumung auf einem der Beklagten zurechenbaren Verschulden ihres Prokuristen beziehungsweise ihrer Anwälte beruhe. Es könne dahinstehen, ob das E-Mailsystem der Beklagten technisch gestört gewesen sei. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass der Prokurist eine E-Mail mit dem Auftrag zur Einlegung der Revision an ihre Anwälte tatsächlich versandt habe. Mit dem allein auf den Willen und die Überzeugung des Prokuristen abstellenden Vortrag sei nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass der Prokurist eine E-Mail mit dem Auftrag zur Revisionseinlegung tatsächlich verschickt habe. Eine Glaubhaftmachung könne etwa durch einen Screenshot einer E-Mail-Sendebestätigung erfolgen.

Ein Verschulden der Anwälte liege selbst dann vor, wenn es im E-Mail-System tatsächlich eine technische Störung gegeben habe. Die Grundsätze zur wirksamen Ausgangskontrolle bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax gölten entsprechend für die Übersendung einer E-Mail, mit der ein Anwalt die Partei per E-Mail auf die am selben Tag ablaufende Rechtsmittelfrist hinweisen und sie zur Einlegung des Rechtsmittels motivieren wolle. Auch bei einer E-Mail bestehe die Gefahr, dass sie den Empfänger wegen einer technischen Störung bei der Übermittlung nicht erreicht. Nutze ein Anwalt im Kanzleibetrieb die E-Mailkorrespondenz, müsse er daher die Kenntnisnahme empfangener Nachrichten durch die Anforderung einer Lesebestätigung über die Optionsverwaltung seines E-Mail-Programms sicherstellen. Die Beklagte habe weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass ihre Anwälte eine solche Lesebestätigung angefordert hätten.

Praxishinweis

Die Telekommunikation spielt bei den Gründen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine erhebliche Rolle. Da bei Übersendung einer E-Mail die Gefahr besteht, dass diese den Empfänger wegen einer technischen Störung bei der Übermittlung nicht erreicht, hat der Versender zumindest über die Optionsverwaltung seines E-Mail-Programms eine Lesebestätigung anzufordern (BGH, Beschluss vom 17.07.2013 - I ZR 64/13, NJW 2014, 556, 557 [11]; vgl. auch Wendtland in BeckOK ZPO, ZPO § 233 Rn. 36). Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen denen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax (BGH, Beschluss vom 29.09.2021 - VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471, 3472 [12]; vgl. in diesem Zusammenhang ausführlich Wendtland in BeckOK ZPO, § 233 Rn. 34 ff.).

BGH, Beschluss vom 18.11.2021 - I ZR 125/21, rechtskräftig (OLG Koblenz), GRUR-RS 2021, 43626