Urteilsanalyse
An­trag auf Ver­sa­gung der Rest­schuld­be­frei­ung bis zur Ein­stel­lung des In­sol­venz­ver­fah­rens
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Ein An­trag auf Ver­sa­gung der Rest­schuld­be­frei­ung kann nach einem Be­schluss des Bun­des­ge­richts­hof bei an­ge­zeig­ter Mas­seun­zu­läng­lich­keit bis zur Ein­stel­lung des In­sol­venz­ver­fah­rens ge­stellt wer­den, auch wenn eine ab­schlie­ßen­de Gläu­bi­ger­ver­samm­lung durch­ge­führt wor­den ist.

10. Jun 2022

Rechts­an­walt Ste­fa­no Buck, Fach­an­walt für In­sol­venz­recht, Schult­ze & Braun Rechts­an­walts­ge­sell­schaft für In­sol­venz­ver­wal­tung mbH

Aus beck-fach­dienst In­sol­venz­recht 12/2022 vom 10.06.2022

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Am 4.12.2014 stell­te der Schuld­ner einen An­trag auf Er­öff­nung des Re­ge­lin­sol­venz­ver­fah­rens und auf Er­tei­lung der Rest­schuld­be­frei­ung. Mit Be­schluss vom 21.5.2015 wurde über das Ver­mö­gen des Schuld­ners das In­sol­venz­ver­fah­ren er­öff­net und der Be­tei­lig­te zu 2 zum In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt, der dem In­sol­venz­ge­richt am 27.10.2015 Mas­seun­zu­läng­lich­keit an­zeig­te. Am 19.3.2019 führ­te das In­sol­venz­ge­richt eine Gläu­bi­ger­ver­samm­lung durch. Mit Schrift­satz vom 3.7.2019 be­an­trag­te die Be­tei­lig­te zu 1 die Ver­sa­gung der Rest­schuld­be­frei­ung, weil der Schuld­ner seine Er­werbs­tä­tig­keit ver­schwie­gen und damit un­wah­re An­ga­ben über sein Ver­mö­gen ge­macht und seine Aus­kunfts­pflicht ver­letzt habe. Das In­sol­venz­ver­fah­ren über das Ver­mö­gen des Schuld­ners wurde mit Be­schluss vom 15.1.2020 wegen Mas­seun­zu­läng­lich­keit ein­ge­stellt.

Das In­sol­venz­ge­richt hat mit Be­schluss vom 15.5.2020 die Ver­sa­gung der Rest­schuld­be­frei­ung aus­ge­spro­chen. Die hier­ge­gen er­ho­be­ne so­for­ti­ge Be­schwer­de des Schuld­ners ist ohne Er­folg ge­blie­ben. Dar­auf­hin legte der Schuld­ner Rechts­be­schwer­de ein.

Ent­schei­dung

Auch die zu­läs­si­ge Rechts­be­schwer­de hatte kei­nen Er­folg.

Ein An­trag auf Ver­sa­gung der Rest­schuld­be­frei­ung könne bis zur Ein­stel­lung des In­sol­venz­ver­fah­rens ge­stellt wer­den.

Auf den Streit­fall fän­den die Vor­schrif­ten der In­sol­venz­ord­nung in der seit dem 1.7.2014 gel­ten­den Fas­sung An­wen­dung (vgl. Art. 103h EGIn­sO), weil das In­sol­venz­ver­fah­ren nach dem 30.6.2014 be­an­tragt wor­den sei.

Da­nach könne der An­trag des Gläu­bi­gers, dem Schuld­ner die Rest­schuld­be­frei­ung zu ver­sa­gen, bis zum Schluss­ter­min oder bis zur Ent­schei­dung nach § 111 Abs. 1 InsO schrift­lich ge­stellt wer­den (§ 290 Abs. 2 Satz 1 HS 1 InsO). Vor­lie­gend sei nicht ein Schluss­ter­min gem. § 197 InsO durch­ge­führt, son­dern das In­sol­venz­ver­fah­ren wegen Mas­seun­zu­läng­lich­keit durch Be­schluss vom 15.1.2020 nach § 211 Abs. 1 InsO ein­ge­stellt wor­den. Die am 19.3.2019 durch­ge­führ­te Gläu­bi­ger­ver­samm­lung sei einem Schluss­ter­min nicht gleich­zu­stel­len. Der schrift­lich ge­stell­te An­trag der Be­tei­lig­ten zu 1 vom 3.7.2019, dem Schuld­ner die Rest­schuld­be­frei­ung zu ver­sa­gen, sei gem. § 290 Abs. 2 Satz 1 HS 1 InsO eben­so recht­zei­tig er­folgt, wie auch das In­sol­venz­ge­richt nach Ein­stel­lung des In­sol­venz­ver­fah­rens noch über den Ver­sa­gungs­an­trag habe ent­schei­den dür­fen. Dem Schuld­ner sei auch zu Recht die Rest­schuld­be­frei­ung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO wegen Ver­let­zung der ihm ob­lie­gen­den Aus­kunfts- und Mit­wir­kungs­pflich­ten ver­sagt wor­den.

Pra­xis­hin­weis

Ein Schluss­ter­min gem. § 197 InsO ist nicht durch­ge­führt wor­den, nach­dem eine Schluss­ver­tei­lung im Sinne von § 196 InsO mit Blick auf die durch den In­sol­venz­ver­wal­ter am 27.10.2015 an­ge­zeig­te Mas­seun­zu­läng­lich­keit nicht er­fol­gen konn­te. Bei der Ein­stel­lung wegen Mas­seun­zu­läng­lich­keit fin­det kein Schluss­ter­min statt (vgl. BGH ZVI 2009, 348).

Das In­sol­venz­ge­richt hatte einen Ter­min zur Er­ör­te­rung der Schluss­rech­nung des In­sol­venz­ver­wal­ters, Er­he­bung von Ein­wen­dun­gen gegen das Schluss­ver­zeich­nis durch die In­sol­venz­gläu­bi­ger, Ent­schei­dung der Gläu­bi­ger über nicht ver­wert­ba­re Ge­gen­stän­de der In­sol­venz­mas­se, zu dem An­trag auf Fest­set­zung der Ver­gü­tung des In­sol­venz­ver­wal­ters und zu der An­re­gung des In­sol­venz­ver­wal­ters, das Ver­fah­ren gem. § 211 InsO ein­zu­stel­len sowie zu der An­hö­rung der Be­tei­lig­ten zu dem An­trag des Schuld­ners auf Er­tei­lung der Rest­schuld­be­frei­ung an­be­raumt. Diese am 19.3.2019 durch­ge­führ­te Gläu­bi­ger­ver­samm­lung ist al­ler­dings einem Schluss­ter­min nicht gleich­zu­stel­len. Zwar han­del­te es sich auch in­so­weit um eine ab­schlie­ßen­de Gläu­bi­ger­ver­samm­lung im Rah­men des In­sol­venz­ver­fah­rens. Das In­sol­venz­ge­richt hat je­doch den Schluss­ter­min als letz­te und ver­fah­rens­ab­schlie­ßen­de Gläu­bi­ger­ver­samm­lung gleich­zei­tig mit der Zu­stim­mung zur Schluss­ver­tei­lung gem. § 196 Abs. 2 InsO von Amts wegen zu be­stim­men (vgl. Uh­len­bruck/We­ge­ner, InsO, 15. Aufl., § 197 Rn. 2). Ent­ge­gen viel­fa­cher Stim­men in der Li­te­ra­tur (vgl. z.B. Mün­ch­Komm-InsO/Ste­phan, 4. Aufl., § 289 Rn. 19) ist eine Gleich­stel­lung einer ab­schlie­ßen­den Gläu­bi­ger­ver­samm­lung mit einem Schluss­ter­min im Sinne von § 197 InsO nicht ge­bo­ten (vgl. z.B. Uh­len­bruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 219 Rn. 13).

Ist Mas­seun­zu­läng­lich­keit an­ge­zeigt, fin­det kein Schluss­ter­min statt. Hat der Schuld­ner Rest­schuld­be­frei­ung be­an­tragt, muss die nach § 287 Abs. 4 InsO ge­bo­te­ne An­hö­rung der In­sol­venz­gläu­bi­ger ent­we­der in einer Gläu­bi­ger­ver­samm­lung oder im schrift­li­chen Ver­fah­ren er­fol­gen. Trotz die­ses Er­for­der­nis­ses hat der Ge­setz­ge­ber den Gläu­bi­gern in die­sen Fäl­len die Mög­lich­keit er­öff­net, einen An­trag auf Ver­sa­gung der Rest­schuld­be­frei­ung bis zur Ein­stel­lung des Ver­fah­rens nach § 211 Abs. 1 InsO zu stel­len. Damit kor­re­spon­diert die Re­ge­lung in § 297a InsO, nach der die Rest­schuld­be­frei­ung auch ver­sagt wer­den kann, wenn sich im Falle des § 211 InsO nach der Ein­stel­lung des Ver­fah­rens her­aus­stellt, dass ein Ver­sa­gungs­grund vor­ge­le­gen hat und der Gläu­bi­ger bis zu die­sem Zeit­punkt keine Kennt­nis davon hatte. Hier­auf wies der BGH in der Ent­schei­dung aus­drück­lich hin.


BGH, Be­schluss vom 24.03.2022 - IX ZB 35/21 (LG Ber­lin), BeckRS 2022, 11049