Urteilsanalyse

An­sprü­che eines Ge­sell­schaf­ters auf Zah­lung eines Al­ters­ru­he­gel­des als nach­ran­gi­ge In­sol­venz­for­de­rung
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An­sprü­che eines Ge­sell­schaf­ters auf Zah­lung eines Al­ters­ru­he­gel­des aus einer be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung stel­len nach einem Ur­teil des BGH vom 22.10.2020 keine For­de­run­gen aus Rechts­hand­lun­gen dar, die einem Ge­sell­schaf­ter­dar­le­hen wirt­schaft­lich ent­spre­chen.

7. Dez 2020

An­mer­kung von

Rechts­an­wäl­tin Dr. Elske Fehl-Wei­le­der, Fach­an­wäl­tin für In­sol­venz­recht, Schult­ze & Braun Rechts­an­walts­ge­sell­schaft für In­sol­venz­ver­wal­tung mbH

Aus beck-fach­dienst In­sol­venz­recht 24/2020 vom 04.12.2020

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Im Jahr 1993 hatte die spä­te­re In­sol­venz­schuld­ne­rin, eine GmbH, ihrem Ge­schäfts­füh­rer eine Ver­sor­gungs­zu­sa­ge er­teilt. Der Ge­schäfts­füh­rer hielt zu die­sem Zeit­punkt 30 % der Ge­sell­schafts­an­tei­le der GmbH, ab No­vem­ber 2004 nur noch 20 %. Seit Er­rei­chung des ge­setz­li­chen Ren­ten­al­ters im Jahr 2003 er­hielt der Ge­schäfts­füh­rer eine mo­nat­li­che Be­triebs­ren­te aus­ge­zahlt. Im April 2015 wur­den die Ren­ten­zah­lun­gen ein­ge­stellt, im De­zem­ber 2015 wurde das In­sol­venz­ver­fah­ren über das Ver­mö­gen der GmbH er­öff­net. Für die Ren­ten­zah­lun­gen sprang der Pen­si­ons­si­che­rungs­ver­ein ein und mel­de­te die auf ihn über­ge­gan­ge­nen For­de­run­gen iHv rund 55.000 EUR zur In­sol­venz­ta­bel­le an. Der In­sol­venz­ver­wal­ter hat die For­de­run­gen be­strit­ten mit der Be­grün­dung, es han­de­le sich um eine nach­ran­gi­ge For­de­rung iSd § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, die einem Ge­sell­schaf­ter­dar­le­hen gleich­zu­stel­len sei. Der Fest­stel­lungs­kla­ge des Pen­si­ons­si­che­rungs­ver­eins wurde vom AG statt­ge­ge­ben. Auf Be­ru­fung des In­sol­venz­ver­wal­ters hat das LG die Klage ab­ge­wie­sen, wes­halb der PSV mit sei­ner Re­vi­si­on zum BGH die Wie­der­her­stel­lung des amts­ge­richt­li­chen Fest­stel­lungs­ur­teils be­gehrt.

Ent­schei­dung: Pen­si­ons­an­sprü­che sind keine wirt­schaft­lich einem Dar­le­hen gleich­ste­hen­den For­de­run­gen

Das Be­ru­fungs­ge­richt hatte die For­de­run­gen aus der Ver­sor­gungs­zu­sa­ge als nach­ran­gi­ge For­de­run­gen ein­ge­stuft, da diese einem Ge­sell­schaf­ter­dar­le­hen gleich­zu­set­zen seien. Weil der An­spruch auf Be­triebs­ren­te eine Ge­gen­leis­tung für die be­triebs­treu­en Diens­te dar­stel­le, führe der Ver­sor­gungs­ver­trag zu einer Vor­leis­tungs­pflicht des Ver­sor­gungs­be­rech­tig­ten, da die Ver­gü­tung erst spä­ter er­fol­ge. Da­durch ver­blie­ben der Schuld­ne­rin die ent­spre­chen­den fi­nan­zi­el­len Mit­tel, so­dass es sich um eine einem Ge­sell­schaf­ter­dar­le­hen ent­spre­chen­de Leis­tung han­de­le.

Die­ser Ein­schät­zung hat sich der BGH nicht an­ge­schlos­sen. Sei­ner An­sicht nach stel­len die For­de­run­gen eines Ge­sell­schaf­ters aus be­trieb­li­cher Al­ters­ver­sor­gung keine einem Ge­sell­schaf­ter­dar­le­hen gleich­zu­set­zen­den An­sprü­che dar, so­dass sie auch nicht als nach­ran­gig iSd § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO an­zu­se­hen sind.

Zwar könne nach dem BGH auch eine aus Aus­tausch­ge­schäf­ten her­rüh­ren­de Geld­for­de­rung des Ge­sell­schaf­ters wirt­schaft­lich einem Dar­le­hen ent­spre­chen, wenn sie recht­lich oder fak­tisch ge­stun­det wird, je­doch sei hier­für auf den Zeit­raum ab­zu­stel­len, der zwi­schen der Leis­tung und der Ver­gü­tung liegt. Nicht von einer dar­le­hens­glei­chen Leis­tung aus­zu­ge­hen sei je­den­falls bei einem ech­ten statt­fin­den­den Leis­tungs­aus­tausch Zug um Zug oder einer Ab­wick­lung von Leis­tung und Ge­gen­leis­tung in­ner­halb des für ein Bar­ge­schäft an­zu­set­zen­den Zeit­raums von 30 Tagen. Dar­aus könne je­doch nicht ge­fol­gert wer­den, dass bei einem grö­ße­ren zeit­li­chen Ab­stand als 30 Tage zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung von einer fak­ti­schen Stun­dung und damit einer dar­le­hens­glei­chen For­de­rung aus­zu­ge­hen sei. Viel­mehr komme es dar­auf an, ob im kon­kre­ten Fall nach der Ver­trags­ge­stal­tung oder der tat­säch­li­chen Hand­ha­bung die Ge­samt­schau des Leis­tungs­aus­tau­sches und sei­ner zeit­li­chen Stre­ckung den Schluss auf eine Kre­dit­ge­wäh­rung zu­las­se. Eine For­de­rung er­hal­te nicht be­reits da­durch Fi­nan­zie­rungs­funk­ti­on, dass die ver­ein­bar­te oder markt­üb­li­che Zah­lungs­frist über­schrit­ten und eine fak­ti­sche Stun­dung ge­währt werde. Eine dar­le­hens­glei­che Leis­tung könne in der Regel erst dann an­ge­nom­men wer­den, wenn eine For­de­rung län­ger als drei Mo­na­te „ste­hen­ge­las­sen“ werde (BGH v. 11.7.2019 – IX ZR 2010/18). Un­ter­halb die­ser zeit­li­chen Gren­ze müs­sen nach dem BGH wei­te­re In­di­zi­en hin­zu­kom­men, damit eine Qua­li­fi­ka­ti­on als dar­le­hens­glei­che For­de­rung ge­recht­fer­tigt sein könne.

Dass im Falle eines kurz­fris­ti­gen Über­brü­ckungs­dar­le­hens auch ein kür­ze­rer Zeit­raum als drei Mo­na­te ge­ge­ben sein kann und die For­de­rung dar­aus trotz­dem ein nach­ran­gi­ges Ge­sell­schaf­ter­dar­le­hen dar­stellt, stehe der ge­nann­ten „Drei-Mo­nats-Regel“ des BGH nicht ent­ge­gen. Eine sach­wid­ri­ge Un­gleich­be­hand­lung von Dar­le­hens­for­de­run­gen aus Über­brü­ckungs­kre­di­ten ei­ner­seits und fak­tisch ge­stun­de­ten For­de­run­gen aus Aus­tausch­ge­schäf­ten an­de­rer­seits, wie sie in der Li­te­ra­tur ge­se­hen wird, er­ge­be sich dar­aus nicht. Der kurz­fris­ti­ge Über­brü­ckungs­kre­dit un­ter­schei­de sich von dem Aus­tausch­ver­trag schon da­durch, dass ihm von vorn­her­ein Fi­nan­zie­rungs­funk­ti­on zu­kom­me, wäh­rend bei einem Aus­tausch­ge­schäft der Ge­sell­schaft nur die Sach­leis­tung des Ge­sell­schaf­ters zu­flie­ße und keine zu­sätz­li­che Fi­nan­zie­rung. Eine sche­ma­ti­sche Gleich­be­hand­lung bei­der Sach­ver­hal­te sei des­halb nicht er­for­der­lich.

Aus die­sen Grund­sät­zen fol­gert der BGH für den kon­kre­ten Fall, dass es sich bei den Be­triebs­ren­ten­an­sprü­chen nicht um eine dar­le­hens­glei­che, nach­ran­gi­ge For­de­rung han­de­le. Zwar habe der An­spruch aus der Pen­si­ons­zu­sa­ge nicht nur Ver­sor­gungs-, son­dern auch Ent­gelt­cha­rak­ter, und kön­nen ste­hen­ge­las­se­ne Ge­halts­an­sprü­che eines Ge­sell­schaf­ters grund­sätz­lich wirt­schaft­lich einem Dar­le­hen ent­spre­chen (BGH v. 16.2.2009 – II ZR 120/07), je­doch ge­nü­ge der (an­tei­li­ge) Ent­gelt­cha­rak­ter des Al­ters­ru­he­gel­des nicht für die An­nah­me einer Fi­nan­zie­rungs­funk­ti­on. Im Vor­der­grund stehe bei der Ver­sor­gungs­zu­sa­ge nicht die tem­po­rä­re Ver­bes­se­rung der Li­qui­di­tät der Ge­sell­schaft, son­dern die Al­ters­ab­si­che­rung für den Ar­beit­neh­mer. Die lange zeit­li­che Stre­ckung zwi­schen der Leis­tungs­er­brin­gung durch den Ge­sell­schaf­ter und der Aus­zah­lung des Al­ters­ru­he­gel­des sei der Ver­sor­gungs­zu­sa­ge im­ma­nent und be­inhal­te keine von ver­kehrs- und markt­üb­li­chen Ver­ein­ba­run­gen ab­wei­chen­de Fi­nan­zie­rung der Ge­sell­schaft. Im Üb­ri­gen sei zum Zeit­punkt der Ab­ga­be der Ver­sor­gungs­zu­sa­ge völ­lig un­klar, ob und in wel­chem Um­fang dar­aus tat­säch­lich Leis­tun­gen zu zah­len sein wer­den, so­dass auch in­so­fern ein grund­le­gen­der Un­ter­schied zu einer Dar­le­hens­ge­wäh­rung be­stehe.

Der BGH hat auf­grund die­ser Er­wä­gun­gen des amts­ge­richt­li­che Ur­teil wie­der her­ge­stellt, so­dass die über­ge­gan­ge­ne For­de­rung des Pen­si­ons­si­che­rungs­ver­eins als In­sol­venz­for­de­rung iSd § 38 InsO zur In­sol­venz­ta­bel­le fest­ge­stellt wurde.

Pra­xis­hin­weis: Keine aus­ufern­de Aus­deh­nung der dar­le­hens­glei­chen For­de­run­gen

Mit die­ser Ent­schei­dung grenzt der BGH den in der Li­te­ra­tur und Recht­spre­chung teil­wei­se weit aus­ge­leg­ten An­wen­dungs­be­reich der einem Ge­sell­schaf­ter­dar­le­hen gleich­ge­stell­ten For­de­run­gen ein. Mit gut nach­voll­zieh­ba­ren Ar­gu­men­ten gibt er dabei der Pra­xis einen Leit­fa­den für die Ein­ord­nung an die Hand. For­de­run­gen eines Ge­sell­schaf­ters aus einem Leis­tungs­aus­tausch­ver­hält­nis sind dem­zu­fol­ge idR auch bei ver­ein­bar­ter oder fak­ti­scher Stun­dung keine dar­le­hens­glei­chen For­de­run­gen, wenn zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung nicht mehr als drei Mo­na­te lie­gen. Da immer auf den kon­kre­ten Ein­zel­fall ab­zu­stel­len ist, kann je­doch auch bei einem kür­ze­ren zeit­li­chen Ab­stand auf­grund wei­te­rer In­di­zi­en eine Fi­nan­zie­rungs­funk­ti­on und damit eine Nach­rang­for­de­rung an­ge­nom­men wer­den. Wich­tig ist zu ver­mer­ken, dass der BGH dem Um­kehr­schluss, bei einem Zeit­raum von mehr als drei Mo­na­ten werde die For­de­rung au­to­ma­tisch dar­le­hens­gleich, eine Ab­sa­ge er­teilt. Wenn der Aus­tausch­ver­ein­ba­rung – wie ty­pi­scher­wei­se bei einer Ver­sor­gungs­zu­sa­ge im Rah­men der be­trieb­li­chen Al­ters­vor­sor­ge – eine län­ge­re Lauf­zeit im­ma­nent ist, wird die For­de­rung da­durch trotz­dem nicht dar­le­hens­gleich und damit nach­ran­gig. Diese dif­fe­ren­zier­te Be­trach­tungs­wei­se des BGH ist sinn­voll und schützt den Ge­sell­schaf­ter davor, durch eine Aus­wei­tung des schar­fen Schwer­tes des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO pau­schal mit sämt­li­chen For­de­run­gen in den Nach­rang zu rut­schen. Spe­zi­ell im vor­lie­gen­den Fall der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung hätte dar­über hin­aus der Schwert­hieb nicht den Ge­sell­schaf­ter, son­dern den Pen­si­ons­si­che­rungs­ver­ein als Trä­ger der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung ge­trof­fen. Da eine sol­che Folge vom Sinn und Zweck des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht um­fasst sein kann, ist die Ent­schei­dung des BGH un­ein­ge­schränkt zu be­grü­ßen.

BGH, Ur­teil vom 22.10.2020 - IX ZR 231/19 (LG Düs­sel­dorf), BeckRS 2020, 31081