Urteilsanalyse
Anspruch auf Transfer-Kurzarbeitergeld
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Anspruch auf Transfer-Kurzarbeitergeld besteht nach Ansicht des Sozialgerichts München nur, soweit der dauerhafte Arbeitsausfall Folge einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG ist.

8. Dez 2021

Anmerkung von

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 24/2021 vom 03.12.2021

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Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Transfer-Kurzarbeitergeld (Transfer-KuG). Die Klägerin ist die Muttergesellschaft eines großen Technologiekonzerns, der sich vor allem auf die Bereiche Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung konzentriert. Im Zuge einer Restrukturierungsreform sollten Prozesse und Organisation des Konzerns modernisiert werden. Mit dem Gesamtbetriebsrat ist hierzu ein Interessenausgleich im Jahre 2014 entwickelt worden. Danach sollten zum 01.10.2014 in allen Betrieben der Klägerin zwei Managementebenen wegfallen, d.h. im Ergebnis 2.893 Arbeitsplätze. Am Betriebsstandort in N sollten 115 von insgesamt 2.591 dort tätige Beschäftigte bis zum 30.09.2015 bzw. 31.03.2016 abgebaut werden. Der Betrieb hatte eine einheitliche Leitung, die in personellen und sozialen Angelegenheiten entscheiden konnte, sowie einen eigenen Betriebsrat. Den vom Abbau betroffenen Mitarbeitern sollte ab 15.06.2015 ein Angebot zum Abschluss eines Altersteilzeitvertrages bzw. eines Aufhebungsvertrages unterbreitet werden.

Im Oktober 2015 zeigte die Klägerin bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit für den Betrieb N einen Arbeitsausfall mit Arbeitsentgeltausfall in einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit (beE) ab 01.10.2015 bzw. 30.09.2017 für insgesamt drei Arbeitnehmer an. Für diese drei Arbeitnehmer sei eine beE eingerichtet worden. Der Betrieb sei von einer Betriebsänderung betroffen. Mit angefochtenem Bescheid lehnte die Beklagte die Gewährung von Transfer-KuG ab. Es fehle an einer Betriebsänderung. Der nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Schwellenwert von 5 %, also 130 Entlassungen, im Betrieb N seien nicht erreicht, da dort lediglich ein Personalabbau von 115 Personen dokumentiert sei. Dieser Schwellenwert sei vom BAG (BeckRS 9998, 149395) eingeführt worden. Dagegen richtet sich die Klage. Im Rahmen des Strategieprogramms seien deutschlandweit mehr als 10.000 Arbeitsplätze weggefallen. Entscheidend sei, dass es zu einer durchgreifenden Änderung der Unternehmens- und jeweiligen Betriebsstruktur gekommen sei, so dass eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG vorläge.

Entscheidung

Das SG weist die Klage als unbegründet zurück. Die Klägerin ist als Prozessstandschafterin der in der beE der Klägerin zusammengefassten Arbeitnehmer klagebefugt. Der angefochtene Bescheid ist jedoch rechtmäßig. Nach § 111 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Förderung der Eingliederung bei betrieblichen Restrukturierungen (Transfer-KuG), um Entlassungen zu vermeiden bzw. ihre Vermittlungschancen zu verbessern. Voraussetzung ist nach § 111 Abs. 1 SGB III ein dauerhafter Arbeitsausfall, der nur vorliegt, wenn aufgrund einer Betriebsänderung die Beschäftigungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend entfallen. Betriebsänderungen i.S.d. § 110 SGB III müssen Gegenstand von Vereinbarungen mit dem Betriebsrat sein, so dass § 111 BetrVG zu prüfen ist. Dies setzt einen Personalabbau voraus, von dem mindestens 5 % der Belegschaft betroffen sind. Dieser Schwellenwert wird hier nicht erreicht. Eine Änderung der Betriebsorganisation liegt auch vor, wenn der Betriebsablauf insbesondere hinsichtlich der Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten vollkommen geändert wird. Die Restrukturierungsreform „Vision 2020“ schafft zwar eine mittlere Managementebene ab. Entscheidender Einfluss auf die Struktur dieses Betriebes haben diese Änderungen jedoch nicht, so dass nach der Rechtsprechung des BAG von einer „Betriebsänderung“ i.S.d. BetrVG nicht gesprochen werden kann.

Praxishinweis

1. Vorliegend geht es um einen „Altfall“, der sich in den Jahren 2014 bis 2017 abspielt. Zwar wurde das SGB III zwischenzeitlich geändert, jedoch für die vorliegende Konstellation nicht wesentlich.

2. Das Transfer-KuG kann auch in Zeiten der Pandemie eine Rolle spielen, wurde aber durch die Corona-Gesetzgebung nicht wesentlich abgeändert, vergleiche dazu unter anderem Kühl, in: Brand, SGB III, 9. Aufl. 2021, § 111, Rn. 1 ff. Allerdings ermöglicht § 111a SGB III nun Möglichkeiten der Förderung der beruflichen Weiterbildung mit Hilfe von Transfer-KuG.

SG München, Urteil vom 28.09.2021 - S 57 AL 326/20, BeckRS 2021, 33376