Anmerkung von
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
Aus beck-fachdienst Erbrecht 12/2020 vom 14.12.2020
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Sachverhalt
Die Beklagte ist eine auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisierte, bundesweit tätige Anwaltskanzlei. Der Kläger ist Student. Er erhob am 04.02.2017 persönlich Klage vor dem VG Arnsberg gegen einen Notenbescheid der Fernuniversität Hagen. Bereits im Januar 2017 informierte der AStA der Fernuniversität Hagen die Beklagte über den Sachverhalt und stellte den Kontakt zwischen den Parteien her. Daraufhin beriet die Beklagte den Kläger zunächst telefonisch. Am 28.03.2017 unterschrieb der Kläger eine schriftliche Honorarvereinbarung und zahlte einen Vorschuss von 3.271,50 EUR. Am 06.11.2017 stellte die Beklagte dem Kläger insgesamt 6.247,50 EUR in Rechnung und verlangte abzüglich des Vorschusses noch 2.975 EUR, welche sie im Hinblick auf die Kostenerstattung im Prozess vor dem VG Arnsberg auf 2.482,46 EUR reduzierte. Mit Schreiben vom 30.11.2017 widerrief der Kläger die Honorarvereinbarung vom 28.03.2017 und verlangte den geleisteten Vorschuss zurück.
Die Parteien verfolgen ihre wechselseitigen Zahlungsforderungen mit Klage und Widerklage. Das AG hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen; auf die Berufung der Beklagten hat das LG die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidung: Dem Kläger steht ein Widerrufsrecht zu, weil der Anwaltsvertrag einen Fernabsatzvertrag darstellt und die Parteien für Vertragsverhandlungen und -schluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet haben.
Anwaltsverträge sind Verträge über die entgeltliche Erbringung einer Dienstleistung i.S.v. §§ 312 Abs. 1, 312c Abs. 1 BGB und können als solche den Regeln über Fernabsatzverträge unterworfen sein (BGH NJW 2018, 690).
Die Beklagte und der Kläger haben für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel eingesetzt. Maßgeblich ist dabei, dass die Parteien von der Vertragsverhandlung bis zum Abschluss des Vertrags für ihre Vertragsgespräche und -erklärungen zu keinem Zeitpunkt gleichzeitig körperlich anwesend waren. Nach dem unstreitigen Sachvortrag haben die Parteien bis zum Abschluss der Honorarvereinbarung nur telefonisch und durch E-Mails miteinander in Kontakt gestanden, so dass dahinstehen kann, ob der Vertrag bereits bei der Erstberatung oder erst mit Abschluss der Honorarvereinbarung zustande kam.
Steht - wie im Streitfall - fest, dass der Unternehmer sowohl für die Vertragsverhandlungen als auch für den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet hat, wird nach der gesetzlichen Regelung in § 312c Abs. 1 BGB widerleglich vermutet, dass der Vertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden ist (vgl. BT-Drucks. 17/12637, S. 50).
Ob ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem besteht, hängt wesentlich davon ab, auf welche Art und Weise der Unternehmer in seinem Geschäftsbetrieb Vertragsverhandlungen und Vertragsschlüsse ermöglicht. Danach muss er sein Unternehmen personell und sachlich so ausgestalten und organisieren, dass sowohl Vertragsverhandlungen als auch Vertragsschluss regelmäßig und ohne weiteres unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln jederzeit möglich sind. Ist diese Einrichtung derart ausgestaltet, dass er damit regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte bewältigen kann, und bietet er diese Möglichkeit von sich aus aktiv an, liegt ein entsprechendes System vor. Bei einem Rechtsanwalt ist dies etwa der Fall, wenn er seine Kanzlei so organisiert hat, dass gerade für die von ihm erstrebten Mandate typischerweise weder für die Vertragsverhandlungen noch für den Abschluss des Mandatsvertrags eine gleichzeitige, persönliche Anwesenheit von Mandant und Anwalt erforderlich ist und der Anwalt eine Mandatserteilung unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Außenverhältnis gegenüber Dritten aktiv bewirbt. Die nach Abschluss des Vertrags erfolgende Art und Weise der Leistungserbringung ist hingegen unerheblich.
Unter welchen Voraussetzungen bei einem Anwaltsvertrag der Abschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt, ist noch nicht abschließend geklärt. Der BGH hat bislang offen gelassen, welche (Mindest-)Anforderungen bei einer Rechtsanwaltskanzlei an ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zu stellen sind (BGH a.a.O.). Die Frage bedarf auch im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung. Die Beklagte hat bereits ihrer Darlegungs- und Beweislast nicht genügt. Es lässt sich nicht ausschließen, dass die Beklagte ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem vorhält und der Anwaltsvertrag in diesem Rahmen abgeschlossen worden ist.
Es liegen mehrere Indizien vor, die dafür sprechen, dass die Beklagte im Rahmen ihrer anwaltlichen Tätigkeit ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem eingerichtet hat. Danach hat sich die Beklagte auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisiert, ist in ganz Deutschland tätig und vertritt Mandanten aus allen Bundesländern. Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, dass die Beklagte eine Homepage im Internet unterhält. Die Beklagte weist unter dem Stichwort „Kontakt“ darauf hin, dass sie jederzeit auch telefonisch und elektronisch für interessierte Mandanten bereit stehe. Unter dem Stichwort „Mandatserteilung“ erklärt sie, dass der Ortsbezug immer mehr an Bedeutung verliere, die vermeintliche persönliche Erreichbarkeit nicht entscheidend sei und Entfernung keine Rolle spiele. Dank ihrer modernsten technischen Ausstattung könne sie das Anliegen der Mandanten schnell und ohne Zeitverlust bearbeiten.
Aufgrund dieser Umstände kann darauf geschlossen werden, dass die Beklagte gezielt Fernkommunikationsmittel zum regelmäßigen Abschluss von Anwaltsverträgen einsetzt und ihre Rechtsanwaltskanzlei darauf eingerichtet hat, eine Vielzahl von Mandanten unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln zu gewinnen.
Praxishinweis
Dieses Urteil dürfte auch zahlreiche Fachanwälte für Erbrecht interessieren, die - nicht zuletzt in Zeiten der Covid-19-Pandemie - damit werben, auch für „Telefonberatungen zur Verfügung“ zu stehen. Auf einer Homepage einer Anwaltskanzlei auch mit dem Schwerpunkt Erbrecht ist etwa folgendes Angebot zu finden:
„Aus aktuellem Anlass bieten wir Ihnen die Möglichkeit, die Kommunikation mit unserer Kanzlei nicht nur wie üblich telefonisch oder per Mail abzuwickeln, sondern Besprechungstermine alternativ zu einem persönlichen Termin in unserer Kanzlei auch per Videokonferenz abzuhalten. Mandatsaufnahme und Abwicklung können einfach per Mail erfolgen. Bitte kontaktieren Sie uns!“
Rechtsanwälte, die ihre Mandatsabwicklung in dieser Art und Weise anbieten, sind nach diesem höchstrichterlichen Urteil gezwungen, die Vorschriften für Fernabsatzverträge, insbesondere die Belehrung über das Widerrufsrecht, zu beachten. Andernfalls laufen sie Gefahr, wie im entschiedenen Fall die klagende Anwaltskanzlei, ihre Ansprüche auf die Anwaltsvergütung trotz der erbrachten Leistungen durch Widerruf zu verlieren, also umsonst zu arbeiten!
Notare sind dieser Gefahr dagegen nicht ausgesetzt, und zwar selbst dann nicht, wenn sie ähnlich offensiv mit einer elektronischen Kommunikation auf ihren Internetseiten werben. Auch wenn § 4 GNotKG in Anlehnung an § 19 BNotO den Begriff „Auftrag“ für den Beginn des Beurkundungsverfahrens verwendet, so handelt es sich doch nicht um einen Geschäftsbesorgungsvertrag gemäß § 675 BGB, sondern um einen Antrag, der ein öffentlich-rechtliches Verfahren einleitet, das regelmäßig auf die Errichtung einer öffentlichen Urkunde durch den Notar gerichtet ist (Bormann/Diehn/Sommerfeldt/Neie, 3. Aufl. 2019, GNotKG § 4 Rn. 1, 2). Auf dieses öffentlich-rechtliche Auftragsverhältnis ist nicht mit einem Geschäftsbesorgungsvertrag gleichzusetzen, zumal der Notar einem Urkundsgewährungsanspruch und weiteren dem öffentlichen Recht spezifischen Pflichten ausgesetzt ist. Folgerichtig verlangt auch § 29 Abs. 1 BNotO vom Notar „jedes gewerbliche Verhalten, insbesondere eine dem öffentlichen Amt widersprechende Werbung zu unterlassen.“ Keinen rechtlichen Bedenken begegnet es, wenn Notare während der Covid-19-Pandemie empfehlen „Besprechungen ggf. telefonisch oder per Video-Konferenz durchzuführen“, weil dies zur Vermeidung von Infektionsrisiken zweckdienlich und angemessen ist.
BGH, Urteil vom 19.11.2020 - IX ZR 133/19, BeckRS 2020, 33549