Urteilsanalyse
Anspruch auf Erziehungsrente
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Die nichteheliche Lebensgemeinschaft vermittelt nach einem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen keinen Anspruch auf Erziehungsrente nach dem Tode der versicherten Mutter.

16. Mai 2023

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 09/2023 vom 12.05.2023

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Sachverhalt

Der Kläger begehrt eine Erziehungsrente nach § 47 SGB VI. Er lebte seit 2016 bis zu deren Tod im Juni 2018 mit der 1977 geborenen, ebenfalls ledigen Versicherten zusammen sowie außerdem mit dem 2010 geborenen Sohn unter derselben Meldeadresse. Der beklagte Rentenversicherungsträger bewilligte mit Bescheid vom September 2018 zugunsten des Sohnes eine Halbwaisenrente. Im Zeitpunkt der Geburt des Sohnes war der Kläger versicherungspflichtig beschäftigt. Von Juni 2015 bis Ende September 2015 bezog er ALG I, danach war er wieder versicherungspflichtig tätig. Den Antrag auf Erziehungsrente gem. § 47 SGB VI wies die Beklagte ab, da der Kläger mit der Kindsmutter nicht verheiratet gewesen war. Dagegen richtet sich die Klage und die Berufung des Klägers. Es sei sozial ungerechtfertigt, ihm die Erziehungsrente zu verweigern. Nach Art. 6 Abs. 5 GG seien den nichtehelichen Kindern durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung als unbegründet zurück. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut setzt der Anspruch auf Erziehungsrente voraus, dass nicht nur ein eigenes Kind erzogen wird, sondern dies aus einer Ehe stammt, die nach dem 30.06.1977 geschieden wurde. Auch § 47 Abs. 3 SGB VI ist nicht einschlägig, da der Kläger nicht als „verwitweter Ehegatte“ i.S.d. Gesetzes anzusehen ist.

Der Senat hält § 47 Abs. 1 SGB VI nicht für verfassungswidrig, so dass eine Vorlage nach Art. 100 GG (dazu schon LSG Bayern, BeckRS 2009, 73686 und BVerfG, DÖV 2012, 689) nicht in Betracht kommt. Es kann offenbleiben, ob die hier relevante nichteheliche Lebensgemeinschaft einer Ehe i.S.d. gleichzustellen ist. Eine Verletzung des Art. 6 Abs. 5 GG ist nicht ersichtlich. Gegen diesen Grundsatz verstößt § 47 Abs. 1 SGB VI nicht. Adressaten dieser Anspruchsnorm sind nicht die ehelichen und unehelichen Kinder selbst, sondern der erziehende, lebende Elternteil.

Auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich. Sinn und Zweck der Erziehungsrente ist die Unterhaltsersatzfunktion für den überlebenden Erziehenden. Grundsätzlich besteht nach einer Ehescheidung zum einen – zu Lebzeiten beider geschiedener Ehegatten – ein Unterhaltsanspruch des Erziehenden wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes gegen den geschiedenen Ehegatten. Stirbt der nicht-erziehende geschiedene Ehegatte, hatte der überlebende Ehegatte bei Scheidung vor dem 01.07.1977 einen Anspruch auf Geschiedenen-Hinterbliebenenrente. Diese Rente ist weggefallen bei Scheidungen ab 01.07.1977.

Praxishinweis

1.Das LSG setzt sich auch mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.11.2004 (BeckRS 2005, 24598) auseinander. Danach verstößt es gegen Art. 3 GG i.V.m. Art. 6 GG, dass das OEG keine Versorgungsleistung für den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft vorsah. Man könnte ergänzend auch auf die neue Regelung des § 116 Abs. 6 SGB X hinweisen. Danach sind auch nichteheliche Lebenspartner vom Regress des Sozialversicherungsträgers ausgenommen (vgl. dazu auch BGH, BeckRS 2013, 3408 und Plagemann/Haidn, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Auflage, Kapitel 30, Rn. 78).

2. Die Argumente des LSG sind durchaus nachvollziehbar. Die Erziehungsrente spielt in der Praxis auch nur eine sehr untergeordnete Rolle. Man könnte also mit den Überlegungen des LSG diese Leistung kurzerhand streichen, da der durch das Ehereformgesetz 1977 mit angestoßene Wandel sich fortgesetzt hat. Jeder Ehepartner ebenso wie Lebenspartner regelt seine wirtschaftlichen Verhältnisse eigenständig, so dass nach dem Tod eines Lebenspartners der Überlebende für die Erziehung des gemeinsamen Kindes weiterhin zuständig ist und ggfs. finanziell durch Kindergeld und „Kindergrundsicherung“ unterstützt wird. Das wird freilich den Kläger kaum überzeugen, der seit 2018 gemäß dem Versicherungsverlauf arbeitslos ist und ohne Leistungsbezug. So gesehen ist die Unterscheidung zwischen ehelicher und nichtehelicher Partnerschaft unter den heutigen Verhältnissen wenig überzeugend.

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.12.2022 - L 4 R 672/21, BeckRS 2022, 45399