Urteilsanalyse
Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte bei Tätigkeit für Transfergesellschaft
Urteilsanalyse
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Bei der Wartezeit für die abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte sind nach einem Urteil des BSG  im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn auch dann zu berücksichtigen, wenn aufgrund der Insolvenz eine Beschäftigung in einer Transfergesellschaft zwischengeschaltet war.

12. Jun 2023

Rechtsanwalt Joachim Zobel, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 11/2023 vom 08.06.2023

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Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten besteht ein Streit über den Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Der Kläger ist der Ehemann der verstorbenen Versicherten S, die bei der B-GmbH bis zum Juli 2012 beschäftigt war. Am 30.7.2012 wurde über das Vermögen der B-GmbH ein Insolvenzverfahren eröffnet. Daraufhin schlossen die Versicherte, der Insolvenzverwalter und eine Transfergesellschaft den sog. dreiseitigen Vertrag, der das bisherige Arbeitsverhältnis beendete und gleichzeitig ein neues befristetes Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft bis zum 28.2.2013 begründete.

Ab dem 1.3.2013 war die Versicherte arbeitslos und bezog bis zum 28.2.2015 Arbeitslosengeld. Auf ihren Rentenantrag bewilligte die Bekl. der Versicherten ab dem 1.10.2015 eine Altersrente für langjährig Versicherte. Den Antrag auf Gewährung einer Rente für besonders langfristig Versicherte lehnte die Bekl. ab. Der Grund dafür war, dass Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht auf die Wartezeit angerechnet werden können, weil der Arbeitslosengeldbezug nicht durch eine Insolvenz, sondern durch das Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses mit der Transfergesellschaft bedingt war.

Das SG wies die Klage der Versicherten ab. Auf die Berufung der Versicherten hob das LSG das Urteil des SG auf und verurteilte die Bekl. zur Zahlung der Altersente für besonders langjährig Versicherte. Gegen das Urteil des LSG legte die Bekl. Revision ein.

Entscheidung

Die Revision der Bekl. sei unbegründet. Die Versicherte habe einen Anspruch auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Die Anspruchsgrundlage, deren Voraussetzungen vorliegen, sei § 236b Abs. 1 iVm Abs. 2 S. 1 SGB VI. Auch sei die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt.

Welche Zeiten auf die Wartezeit angerechnet werden, regele § 51 Abs. 3a 1 SGB VI. Danach würden die Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht angerechnet, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung wäre durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt.

Diese Ausnahme gelte im vorliegenden Fall nicht, da der Bezug von Arbeitslosengeld durch die Insolvenz des Arbeitgebers bedingt sei. Zwar habe keine Insolvenz des letzten Arbeitgebers der Versicherten vorgelegen. Nach Rspr. des BSG sei jedoch für die Frage, ob der Leistungsbezug durch die Insolvenz „des Arbeitgebers“ bedingt sei, nicht nur auf den letzten Arbeitgeber vor dem Leistungsbezug abzustellen. Es sei nicht zwingend geboten, nur den letzten Arbeitgeber in den Blick zu nehmen.

Systematische Erwägungen sprächen dafür, dass der Bezug von Arbeitslosengeld auch dann durch eine Insolvenz des Arbeitgebers bedingt sei, wenn im Anschluss an die Insolvenz zunächst ein Arbeitsverhältnis mit einer selbstständigen Transfergesellschaft begründet werde. Der Übergang in eine Transfergesellschaft sei eine typische Folge einer Insolvenz oder einer grundlegenden betrieblichen Veränderung.

Die Einrichtung von Transfergesellschaften sei ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, um den Eintritt von Arbeitslosigkeit von Beschäftigten zu vermeiden, deren Arbeitsplätze in Folge betrieblicher Umstrukturierungen wegfallen würden.

Auch der Sinn und Zweck der Regelungen des § 51 IIIa 1 Nr. 3 SGB VI sprächen dafür, in Konstellationen wie hier eine kausale Verknüpfung des Bezugs von Entgeltersatzleistungen mit der Insolvenz des vorletzten Arbeitgebers anzunehmen. Insbesondere sei bei einer befristeten Übernahme in eine Transfergesellschaft nach einer Insolvenz des Arbeitgebers kein kollusives Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit dem Ziel der Frühverrentung anzunehmen.

Praxishinweis

Im Rahmen von Restrukturierungsmaßnahmen und insbesondere bei einem Personalabbau ist die Option einer Transfergesellschaft die Möglichkeit sozialadäquat Arbeitsverhältnisse zu beenden. Im Rahmen des zu schließenden Interessenausgleichs mit Namensliste (§ 125 InsO) und dem nachfolgenden Sozialplan (§ 112 Abs. 5 Nr. 2a BetrVG) ist die Implementierung der Transfergesellschaft eine Möglichkeit, um das Risiko von Klageverfahren zu minimieren.

 Auch in Bezug auf einen Betriebsübergang stellt die Transfergesellschaft eine Möglichkeit dar, die Interessen der Arbeitnehmer:innen und die Interessen des Erwerbers in Bezug auf die zukünftige Personalstruktur zusammenzuführen.

Gerade in Eigenverwaltungsverfahren, in welchen die absolute und relative Volumengrenzen des Insolvenzsozialplans (§ 123 Abs. 2 Satz 2 InsO) keine Anwendung findet und damit auch die Möglichkeit besteht, die Sozialplanmittel für die Transfergesellschaft einzusetzen, ist diese eine überlegenswerte Option.

 Aufgrund der Entscheidung des Bundessozialgerichts, wonach der Eintritt in die Transfergesellschaft sich nicht nachteilig auf den Rentenbezug auswirkt und insbesondere die Wartezeit nicht negativ beeinflusst, ist gerade für rentennahe Arbeitnehmer:innen die Transfergesellschaft eine weitere Möglichkeit im Rahmen der optimierten Restrukturierungsplanung. Dies auch im Hinblick auf die aktuelle Rechtsprechung des BAG zur Kündigungsmöglichkeit für rentennahe Arbeitnehmer:innen (BAG, Urt. v. 8.12.2022 – 6 AZR 31/22).

BSG, Urteil vom 21.10.2021 - B 5 R 11/20 R, BeckRS 2021, 36654