Anmerkung von
RAin Dr. Doris-Maria Schuster, Gleiss Lutz, Hamburg
Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 07/2022 vom 23.02.2023
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Sachverhalt
Die Parteien streiten über Arbeitsentgelt aus Annahmeverzug. Der Kläger war seit November 2014 bei der Beklagten in leitender Position beschäftigt. Am 5.3.2019 kündigte die Beklagte sein Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.12.2019. Der Kläger meldete sich daraufhin nicht arbeitsuchend und erhielt somit auch kein Arbeitslosengeld. Mit Urteil vom 18.11.2020 stellte das ArbG rechtskräftig die Unwirksamkeit der Kündigung fest.
Der Kläger klagte anschließend Annahmeverzugslohn ein und war der Ansicht, ihm stehe der Annahmeverzugslohn ohne Einschränkung zu, da er während und nach Ablauf der Kündigungsfrist kein anderweitiges Einkommen gehabt habe. Die Beklagte vertrat die Auffassung, der Kläger habe es böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen, da er seine sozialversicherungsrechtliche Meldepflicht verletzt habe. Das ArbG gab der Klage auf Annahmeverzugslohn statt. Das LAG Niedersachen wiederrum ging davon aus, die Verletzung der Meldeobliegenheit aus § 38 I SGB III erfülle stets das Merkmal des böswilligen Unterlassens, was im Ergebnis zum Verlust des Anspruchs auf Annahmeverzugslohn führe.
Entscheidung
Das BAG hielt die Revision des Klägers für begründet. Das LAG habe versäumt, eine erforderliche Würdigung aller Umstände des konkreten Falles vorzunehmen, um das böswillige Unterlassen anderweitiger Verdienste zu belegen. Zwar habe das LAG zutreffend erkannt, dass sich die Anrechnung anderweitigen Verdienstes aufgrund des rechtskräftigen Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses nach § 11 Nr. 2 KSchG und nicht nach § 615 S. 2 BGB richte. Eine Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienstes kommt nach Ansicht des BAG nach § 11 Nr. 2 KSchG jedoch nur in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer während des Annahmeverzugs eine bewusste Untätigkeit vorgeworfen werden kann, er eine ihm zumutbare andere Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit willentlich vereitelt. Hierbei sind sämtliche Umstände des Einzelfalls maßgeblich und zu beachten. Das BAG verlangt dafür stets eine Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkret vorliegenden Falls. Dadurch wird ausgeschlossen, dass ein bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigender Umstand unabhängig von den übrigen Umständen generalisiert wird.
Die Verletzung der Meldeobliegenheit nach § 38 I SGB III isoliert betrachtet, erfüllt nicht das Merkmal des böswilligen Unterlassens nach § 11 Nr. 2 KSchG. Dennoch können die sozialrechtlichen Handlungspflichten des Arbeitnehmers bei der Auslegung des Begriffs der Böswilligkeit herangezogen und beachtet werden, denn dem Arbeitnehmer dürfe arbeitsrechtlich das zugemutet werden, was ihm das Gesetz ohnehin abverlangt.
Praxishinweis
Mit der vorliegenden Entscheidung schreibt der 5. Senat seine feinziselierte Rechtsprechung (FD-ArbR 2020, 431371) zum anderweitigen Verdienst im Rahmen des Annahmeverzugsanspruchs fort und bestätigt seine sehr differenzierte Rechtsprechung zur Einschätzung einer etwaigen Böswilligkeit (vgl. BAG, FD-ArbR 2022, 449728; BAG, FD-ArbR 2021, 441910; BAG, BeckRS 2021, 15131).
Arbeitgebern ist angeraten, Kündigungsschutz- und Annahmeverzugsklagen mit Auskunftsverlangen über die Arbeitslosmeldung und etwaige zumutbare Vermittlungsangebote der Agentur für Arbeit zu parieren. Arbeitnehmer sollten umgekehrt ihrer Pflicht zur Arbeitslosmeldung aus § 38 I SGB III nachkommen, damit ihnen die Verletzung dieser Obliegenheit nicht in Bezug auf etwaige Annahmeverzugslohnansprüche auf die Füße fällt.
BAG, Urteil vom 12.10.2022 - 5 AZR 30/22 (LAG Niedersachsen), BeckRS 2022, 42220