Urteilsanalyse
Anfrage an Verfahrensbeteiligte trotz wirksamer Vollmacht
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Wendet sich eine Krankenkasse im Rahmen von § 51 SGB V direkt an den vertretenen Kläger, um eine Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht zu erhalten, kann diese Verfahrenshandlung nach Ansicht des LSG Baden-Württemberg gem. § 56a Satz 1 SGG nicht isoliert angefochten werden. Die Behörde kann sich - so das LSG - nach § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB X auch an den Beteiligten selbst wenden, soweit dieser zur Mitwirkung verpflichtet ist.

10. Nov 2021

Anmerkung von

Rechtsanwalt Martin Schafhausen, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 22/2021 vom 05.11.2021

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Sachverhalt

Der Kläger wendet sich gegen die Nichtbeachtung einer von ihm im Verwaltungsverfahren vorgelegten Vollmacht durch die beklagte Krankenkasse. Der 1958 geborene Kläger ist Mitglied der beklagten Krankenkasse. Während des Bezugs von Krankengeld setzte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 11.11.2019 gem. § 51 SGB V eine Frist, innerhalb derer er einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beim zuständigen RV-Träger zu stellen habe. Der Kläger kam dieser Aufforderung nach. Beginn für die Rehamaßnahme war der 24.06.2020. Mit Schreiben vom 14.05.2020 legte der Bevollmächtigte des Klägers seine Vollmacht vor und teilte mit, dass für den Kläger Rentenantrag gestellt worden sei. Zuerst müsse allerdings der stationäre Aufenthalt durchgeführt werden und eine entsprechende Anschlussheilbehandlung. Zuständiger Reha-Träger sei nicht die Beklagte sondern der Rentenversicherungsträger.

Mit Schreiben vom 16.06.2020 wandte sich die Beklagte direkt an den Kläger und teilte ihm mit, dass im Hinblick auf die in Kürze stattfindende Reha-Maßnahme der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Beurteilung der weiteren Arbeitsunfähigkeit den Entlassungsbericht der Reha-Klinik benötige. Der Kläger trat die für den 24.06.2020 geplante Reha-Maßnahme nicht an, weil er der Auffassung war, zuständiger Reha-Träger sei die Beklagte. Am 24.06.2020 erhob der Kläger Unterlassungsklage gegen die Beklagte mit dem Ziel, diese zu verpflichten, unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.500 Euro die Vollmacht, die für den Kläger bei ihr hinterlegt worden ist, nicht weiterhin zu missachten. Zur Begründung legte er zwei an ihn direkt gerichtete Schreiben vor und führte aus, die Beklagte missachte eine wirksam seinem Anwalt erteilte Vollmacht. Die Beklagte wandte ein, gem. § 13 Abs. 3 SGB X könne sie sich an die Beteiligten selbst wenden, soweit es darum geht, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Der Kläger sei aufgrund seines Krankengeldbezuges in seinem Dispositionsrecht eingeschränkt und daher in seinen Erklärungen gegenüber dem Rentenversicherungsträger nicht frei. Das SG wies durch Gerichtsbescheid die Klage ab - ebenso wie zuvor den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Nach § 56a Satz 1 SGG könnten Einwände gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Entscheidung

Das LSG weist die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers als unbegründet zurück. Die Klage auf Unterlassung sei unzulässig. Zwar seien bei einer Unterlassungsklage keine besonderen Anforderungen an das Rechtschutzbedürfnis zu stellen. Die Gefahr einer Wiederholung der vermeintlichen Rechtsbeeinträchtigung ist jedoch als besondere Voraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses bei Unterlassungsklagen generell erforderlich. Vorliegend ist schon fraglich, ob eine solche Wiederholungsgefahr besteht.

Zurecht hat das SG auch auf § 56a SGG Bezug genommen, wonach Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können.

Praxishinweis

1. Der Einwand der Kasse, im Hinblick auf § 51 SGB V sei der Kläger als Bezieher von Krankengeld gehalten, die Beklagte bzw. den MDK über das Ergebnis des Reha-Verfahrens zu informieren, macht Sinn. Offensichtlich war diese Frage auch nicht unmittelbar die gleiche Frage, wie sie dem Anschreiben des Bevollmächtigten zugrunde lag.

2. Da sich nach § 13 Abs. 3 SGB X die Behörde an den Bevollmächtigten wenden muss, kann es vorkommen, dass Bescheide, die an die Partei und nicht den/die Bevollmächtigten geschickt wurden, nicht geeignet sind, Widerspruchs- bzw. Klagefristen zu wahren (vgl. dazu auch Becker, in: BeckOGK, SGG 2. Aufl., § 84, Rn. 16; vgl. auch Jaritz, a.a.O., § 87, Rn. 46, wonach die Bekanntgabe eines Widerspruchsbescheides an den Inhaltsadressaten gleichwohl die Klagefrist gem. § 87 SGG auslöst). Die Frage der wirksamen Zustellung kann auch und insbesondere Bedeutung erlangen bei der Wahrung der Drei- bzw. Fünf-Wochen-Frist gem. § 13 Abs. 3a SGB V mit der Folge einer Genehmigungsfiktion.

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.10.2021 - L 4 KR 645/21, BeckRS 2021, 31355