Urteilsanalyse
Anforderungen an Widerrufsbelehrung nach § Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Stefan Yang / stock.adobe.com

Die Widerrufsbelehrung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG muss auch die Rechtsfolgen des Widerrufs umfassen. Hierzu gehört nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart auch der Hinweis, dass die vom Versicherer gezogenen Nutzungen zurückzugewähren sind. Die Vertragsinformationen nach §§ 12 VVG-InfoV müssen auch die Angabe einer Antragsbindungsfrist enthalten. Ist im Antragsformular keine Antragsbindungsfrist – wirksam – geregelt, gilt die gesetzliche Bindungsfrist nach § 147 Abs. 2 BGB und es ist auf diese hinzuweisen.

8. Sep 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Kanzlei GRAMS Rechtsanwälte, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 17/2022 vom 25.08.2022

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Versicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Versicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Versicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

VVG §§ 7 III8 II 1 Nr. 2; VVG-InfoV §§ 12; BGB § 147 II

Sachverhalt

Der Kläger nimmt den beklagten Versicherer nach Widerruf eines Ende 2009 abgeschlossenen Rentenversicherungsvertrages auf Zahlung in Anspruch. Er macht geltend, die ihm vom Versicherer bei Vertragsschluss erteilte Widerrufsbelehrung entspreche nicht den Anforderungen und die nach § 7 Abs. 1 und 2 VVG in Verbindung mit §§ 12 VVG-InfoV geschuldeten Vertragsinformationen seien ihm nicht vollständig erteilt worden. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers hob das OLG das Urteil auf und gab dem Zahlungsantrag statt.

Rechtliche Wertung

Der Kläger habe den Versicherungsvertrag wirksam widerrufen, entschied das OLG, da er von der Beklagten nicht ordnungsgemäß nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG über sein Widerrufsrecht belehrt worden sei und ihm nicht sämtliche Informationen nach §§ 1 und 2 VVG-InfoV erteilt worden seien. Daher sei die Widerrufsfrist des § 8 Abs. 1 und 2 VVG nicht in Lauf gesetzt worden.

Die Widerrufsbelehrung sei nicht ausreichend gewesen, da sie nicht ausreichend über die Rechtsfolgen eines Widerrufs aufgeklärt habe. Zu berücksichtigen sei, dass zum damaligen Zeitpunkt noch keine Musterbelehrung nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. existiert habe. Diese sei erst per 11.06.2010 als Anhang zum VVG eingeführt worden.

Zu der erforderlichen Belehrung über die Rechtsfolgen des Widerrufs gehöre auch eine Information des Versicherungsnehmers über seine Rechte und Pflichten. Hierzu zählten insbesondere Angaben über die ggf. zurückzuzahlenden Versicherungsleistungen, über den (rückwirkenden) Wegfall von Leistungsansprüchen sowie über etwaige Ansprüche auf Prämienrückgewähr oder -nachzahlung (Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, Rn. 20 zu § 8). In der streitgegenständlichen Belehrung fehle ein Hinweis darauf, dass in diesem Fall gezogene Nutzungen ebenfalls zurückzugewähren sind, weil diese zu dem vorzunehmenden Ausgleich gehören (BGH, Urteil vom 13.09.2017 - IV ZR 445/14BeckRS 2017, 126342).

Darüber hinaus stehe dem Kläger ein Widerrufsrecht auch deshalb zu, weil ihm nicht sämtliche Informationen gemäß §§ 1 und 2 VVG-InfoV erteilt worden seien. Es fehle die erforderliche Angabe einer Antragsbindungsfrist. Eine solche Bindungsfrist bestehe lediglich dann, wenn eine solche wirksam in das Antragsformular aufgenommen wurde, was vorliegend nicht geschehen sei. Anderenfalls gelte § 147 Abs. 2 BGB. In diesem Fall sei hierauf durch eine Darstellung der gesetzlichen Regelung hinzuweisen. Nach der Begründung zur VVG-InfoV (VersR 2008, 183) übernehme § 1 Abs. 1 Nr. 12 VVG-InfoV die vormalige Regelung in Nr. 1 lit. f des Abschnitts I der Anlage D zu § 10 a VAG a.F., die nach der Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 18.07.2018 - IV ZR 68/17r+s 2018, 472) bei einem Vertragsschluss im Antragsmodell einen Hinweis auf die gesetzliche Annahmefrist des § 147 Abs. 2 BGB erfordere. Außerdem müsse der Antragsteller an dieser Information auch ein berechtigtes Interesse haben.

Praxishinweis

Das OLG ließ die Revision wegen divergierender Rechtsprechung zu. Die Revision des Versicherers ist beim BGH anhängig unter dem Az. IV ZR 41/22.

Zum Erfordernis des Hinweises auf die Rückgewährung gezogener Nutzungen wie hier OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.05.2019 - 12 U 141/17BeckRS 2019, 9914, Besprechung von Grams, FD-VersR 2019, 418040; a. A. laut OLG Stuttgart: OLG Koblenz, Beschlüsse vom 04.02.2020 und 10.03.2020 - 10 U 1717/19 (n. v.).

Zum Erfordernis des Hinweises auf die Antragsbindungsfrist in den Vertragsinformationen wie hier Rudy in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, Rn. 16 a zu § 1 VVG-InfoV; Armbrüster in Langheid/Wandt, MüKo-VVG, 2. Aufl. 2016, Rn. 44 f. zu § 1 VVG-InfoV; a. A. Castellvi in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 4. Aufl. 2020, Rn. 35 zu § 1 VVG-InfoV.

OLG Stuttgart, Urteil vom 20.01.2022 - 7 U 46/21 (LG Stuttgart), BeckRS 2022, 19769