Urteilsanalyse
Anforderungen an Unterschrift bei nicht feststehender Urheberschaft des Rechtsanwalts
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Für eine vom Prozessrecht geforderte eigenhändige Unterschrift ist ein die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnender Schriftzug erforderlich und sich – ohne lesbar sein zu müssen – als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschrift erkennen lässt. Unter diesen Voraussetzungen kann laut BGH auch ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein.

25. Feb 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Guido Toussaint, Toussaint & Schmitt, Karlsruhe

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 04/2021 vom 19.02.2021

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Sachverhalt

Nach Klageabweisung in erster Instanz ist bei dem Berufungsgericht innerhalb der Berufungsfrist eine auf dem Briefpapier des Prozessbevollmächtigten des Klägers geschriebene Berufungsschrift eingegangen, die mit der maschinenschriftlichen Namensangabe „P. W. B.“ und der darunter gesetzten Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt Investment Consultant (EBS/Deutsche Börse AG)“ schließt. Namen und Berufsangabe gleichsam überschreibend ist ein Schriftzug erkennbar, der aus einem steil nach oben ragenden spitzwinkligen Schwung und einer daran anschließenden (kurzen) wellenförmigen Schreibbewegung besteht. Auf der innerhalb der verlängerten Begründungsfrist eingegangenen Berufungsbegründung unter dem Briefkopf des Prozessbevollmächtigten des Klägers befindet sich über der mit der Berufungsschrift identischen Namens- und Berufsangabe ein handschriftliches schleifenförmiges Gebilde, dem zwei einzelne Zeichen vorangestellt sind.

Nach vorangegangenem Hinweis des Vorsitzenden des Berufungsgerichts auf insoweit bestehende Bedenken, dem der Kläger entgegengetreten ist, hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil weder der nach dem Vortrag des Klägers von Rechtsanwalt B. herrührende Schriftzug unter der Berufungsschrift noch der nach dem Vortrag des Klägers von Rechtsanwältin K. geleistete Schriftzug unter der Berufungsbegründungsschrift den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterschrift im Sinne des § 130 Nr. 6 ZPO genügten. Unabhängig von der Frage, ob dies bereits deshalb der Fall sei, weil die Schriftzüge keinen einzigen Buchstaben des jeweiligen Nachnamens erkennen ließen, gelte dies jedenfalls für die Unterzeichnung der Berufungsschrift deshalb, weil Rechtsanwalt B. nicht für sich in Anspruch nehmen könne, auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise zu unterschreiben. Denn ein dem Schriftzug auf der Berufungsschrift vergleichbarer Schriftzug befinde sich weder auf den eingereichten Schriftsätzen noch auf den zurückgesandten Empfangsbekenntnissen und den Schriftzügen auf dem Personalausweis des Prozessbevollmächtigten fehle jedenfalls die nachfolgende Wellenbewegung. Zudem sei die Autorenschaft von Rechtsanwalt B. nicht gesichert, weil der Schriftzug des Klägers auf den Prozessvollmachten erster und zweiter Instanz eine starke Übereinstimmung mit dem Schriftzug auf der Berufungsschrift zeige; Ähnlichkeit bestehe überdies mit der Unterschrift des Klägers auf seinem Personalausweis.

Den vorsorglich vom Kläger gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Berufungsgericht zugleich zurückgewiesen, weil es schon an dem Erfordernis der Nachholung der versäumten Prozesshandlung fehle und die Fristversäumung zudem nicht unverschuldet im Sinne des § 233 ZPO sei, denn der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Schriftzüge auf der Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift so oder geringfügig abweichend in der Vergangenheit allgemein von den Gerichten über längere Zeit nicht beanstandet worden seien.

Entscheidung

Der BGH hat die (ohne weiteres statthafte, §§ 574 I 1 Nr. 1, 522 I 4, 238 II 1 ZPO) Rechtsbeschwerde des Klägers hiergegen als unzulässig verworfen, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordere (§ 574 II ZPO).

Unleserliche Unterschrift genügte jedenfalls deshalb nicht, weil die Berufungsschrift nicht sicher vom Rechtsanwalt (sondern mglw. von dessen Mandanten) stammt

Das Berufungsgericht habe die Berufung des Klägers ohne Verletzung dessen Verfahrensgrundrechte zu Recht gem. § 522 I 2 ZPO als unzulässig verworfen, da diese innerhalb der Rechtsmittelfrist nicht durch einen von einem Rechtsanwalt ordnungsgemäß unterzeichneten Schriftsatz eingelegt worden sei, was der Senat als Prozessvoraussetzung aufgrund eigener Feststellungen ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts von Amts wegen zu prüfen habe. Der die Berufungsschrift abschließende Schriftzug sei unleserlich und besteht nur aus einem steil nach oben ragenden spitzwinkligen Schwung mit einer daran anschließenden (kurzen) wellenförmigen Schreibbewegung. Zwar könne unter den vorgenannten Voraussetzungen auch ein derart vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein (vgl. LSe). Dies scheitere im vorliegenden Fall jedoch daran, dass die Urheberschaft von Rechtsanwalt B. nicht feststehe. Zweifel hieran ergeben sich daraus, dass Rechtsanwalt B. ausweislich der in den Akten befindlichen Schriftsätze von ihm gefertigte Schriftsätze nicht üblicherweise in der Art der Berufungsschrift unterschreibe, sowie daraus, dass die Schriftzüge auf den vom Kläger persönlich unterschriebenen Prozessvollmachten erster und zweiter Instanz und in seinem Personalausweis eine sehr große Übereinstimmung mit dem Schriftzug auf der Berufungsschrift zeigten. Die vom Kläger angebotenen Zeugen habe das Berufungsgericht nicht vernehmen müssen, weil das Berufungsgericht nach dem Sinn und Zweck des Unterschriftserfordernisses bereits bei Ablauf der Berufungs- beziehungsweise Berufungsbegründungsfrist auf der Grundlage der ihm bekannten Umstände in der Lage sein müsse, die Urheberschaft zuverlässig zu beurteilen, weshalb bei der Beurteilung der Frage, ob die Berufungs- oder Berufungsbegründungsschrift eine Unterschrift im Sinne des § 130 Nr. 6 ZPO aufweise, grundsätzlich auf den Zeitpunkt des jeweiligen Fristablaufs und die bis dahin bekannten Umstände abzustellen sei.

Keine Wiedereinsetzung, weil Rechtsanwalt Anforderungen an Unterschrift kennen muss

Auch hinsichtlich der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags sei die Rechtsbeschwerde nicht zulässig, da die Voraussetzungen des § 574 II ZPO nicht vorlägen. Es fehle jedenfalls an einem Wiedereinsetzungsgrund. Ein Rechtsanwalt habe sich über den Stand der Rspr. zu unterrichten. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten daher die höchstrichterlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze bekannt sein müssen. Die Formunwirksamkeit der Berufungseinlegung beruhe jedoch darauf, dass der geleistete Schriftzug diesen Anforderungen nicht entspreche und eine sichere Identifizierung des Urhebers nicht zulasse.

Praxishinweis

Problem der Unterschriften war hier nicht, dass sie keinen einzelnen Buchstaben der Namen der Unterzeichnenden erkennen ließen, sondern dass jedenfalls die Urheberschaft des Prozessbevollmächtigten bei der Berufungsschrift konkret zweifelhaft war (weshalb für die Zulässigkeit der Berufung im Ergebnis offenbleiben konnte, ob die Begründungsschrift ordnungsgemäß unterzeichnet war). Über diese Urheberschaft war auch nicht etwa im Berufungsverfahren Beweis zu erheben, weil bereits bei Ablauf der Berufungsfrist feststehen muss, dass Urheber jedenfalls ein Rechtsanwalt ist; lediglich dessen Identität oder seine Postulationsfähigkeit können auch noch nachträglich geklärt werden (vgl. BGH NJW 2013, 237 mAnm Elzer FD-ZVR 2012, 339006; BGH BeckRS 2019, 34723 mAnm Toussaint FD-ZVR 2020, 425933). Der Wiedereinsetzungsantrag konnte schon deshalb keinen Erfolg haben, weil hinsichtlich prozessrechtlicher Fragen im Allgemeinen „kein Pardon gegeben“ wird; allenfalls wäre die Geltendmachung von Vertrauensschutz in Betracht gekommen, wofür es hier aber an substantiiertem Vortrag fehlte, dass eine Unterzeichnung in der beanstandeten Form von Gerichten über längere Zeit hinweg hingenommen worden ist.

BGH, Beschluss vom 17.12.2020 - III ZB 14/20, GRUR-RS 2020, 41053