Urteilsanalyse

An­for­de­run­gen an ein «un­rich­ti­ges Ge­sund­heits­zeug­nis»
Urteilsanalyse
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Das Un­ter­las­sen einer Un­ter­su­chung, die eine zu­sätz­li­che Be­ur­tei­lungs­grund­la­ge er­ge­ben hätte, macht ein Zeug­nis noch nicht un­rich­tig; es kommt - so das LG Lü­ne­burg - dar­auf an, wel­ches Maß an Ge­nau­ig­keit im Ein­zel­fall er­for­der­lich ge­we­sen wäre.

18. Jan 2023

An­mer­kung von 
Rechts­an­walt und Fach­an­walt für Me­di­zin­recht Dr. Se­bas­ti­an Braun, LEX MED­ICORUM, Leip­zig
 
Aus beck-fach­dienst Me­di­zin­recht 01/2023 vom 13.01.2022

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des mo­nat­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Me­di­zin­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Me­di­zin­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis des Me­di­zin­rechts. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

In dem zu­grun­de lie­gen­den Ver­fah­ren wurde der An­ge­schul­dig­ten vor­ge­wor­fen, im In­ter­net ent­gelt­lich eine vor­läu­fi­ge Imp­fungs­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung bei einer ehe­ma­li­gen Ärz­tin er­wor­ben und diese dem zu­stän­di­gen Ge­sund­heits­amt vor­ge­legt zu haben. Nach Auf­fas­sung der Staats­an­walt­schaft hat die An­ge­schul­dig­te in Kennt­nis dar­über ge­han­delt, dass die vor­läu­fi­ge Impf­un­fä­hig­keit ohne vor­he­ri­ge me­di­zi­ni­sche Un­ter­su­chung durch die Ärz­tin be­schei­nigt wurde. Tat­säch­lich ließ sich in der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung fol­gen­de Pas­sa­ge lesen: „Auf­grund mei­ner ärzt­li­chen Ein­schät­zung und Be­wer­tung komme ich nach frei­em Er­mes­sen zu fol­gen­der pri­vat­gut­ach­ter­li­chen Ein­schät­zung“. Wei­ter­hin ver­wies die Be­schei­ni­gung dar­auf, dass so lange keine Imp­fung gegen Co­ro­na statt­fin­den soll, bis eine fach­ärzt­li­che Ab­klä­rung statt­ge­fun­den hat, ob mög­li­cher­wei­se bei der An­ge­schul­dig­ten eine schwer­wie­gen­de All­er­gie gegen die In­halts­stof­fe vor­liegt. In­so­fern sei die An­ge­schul­dig­te vor­läu­fig impf­un­fä­hig. Die An­ge­schul­dig­te trug eben­falls vor, dass ihr nicht be­wusst ge­we­sen sei, dass sie sich von der aus­stel­len­den Ärz­tin hätte un­ter­su­chen las­sen müs­sen. Das AG Lü­ne­burg hatte den An­trag auf Er­lass eines Straf­be­fehls ab­ge­lehnt, da die vor­ge­leg­te Be­schei­ni­gung kein un­rich­ti­ges Ge­sund­heits­zeug­nis im Sinne der §§ 278, 279 StGB dar­stel­le. Schlie­ß­lich würde diese vor­lie­gend nur dar­auf ver­wei­sen, dass bis zum Ab­schluss der Prü­fung, ob even­tu­ell eine All­er­gie einer Imp­fung ent­ge­gen­stün­de, keine Imp­fung gegen Co­ro­na er­fol­gen soll­te. Damit wird je­doch le­dig­lich ein vor­über­ge­hen­der Zu­stand be­schrie­ben und keine ab­schlie­ßen­de Äu­ße­rung über einen ob­jek­tiv prüf­ba­ren Ge­sund­heits­zu­stand ge­tä­tigt. Hier­ge­gen rich­te­te sich die so­for­ti­ge Be­schwer­de der Staats­an­walt­schaft.

Ent­schei­dung

Das LG be­stä­tig­te die Auf­fas­sung des Amts­ge­richts und lehn­te das Vor­lie­gen eines un­rich­ti­gen Ge­sund­heits­zeug­nis­ses eben­falls ab. Unter einem Zeug­nis im Sinne der Nor­men der §§ 277-279 StGB sei eine Be­schei­ni­gung über den ge­gen­wär­ti­gen Ge­sund­heits­zu­stand eines Men­schen zu ver­ste­hen. Un­rich­tig sei das Ge­sund­heits­zeug­nis u.a. dann, wenn die mit er­klär­ten Grund­la­gen der Be­ur­tei­lung nicht der Wahr­heit ent­spre­chen wür­den. Dies sei ins­be­son­de­re dann der Fall, wenn die für die Be­ur­tei­lung des Ge­sund­heits­zu­stands er­for­der­li­che Un­ter­su­chung nicht durch­ge­führt wor­den sei. In­so­fern würde man bei einem Ge­sund­heits­zeug­nis immer davon aus­ge­hen, dass die für das Aus­stel­len des Ge­sund­heits­zeug­nis­ses er­for­der­li­che In­for­ma­ti­ons­ge­win­nung tat­säch­lich statt­ge­fun­den hat, wie zum Bei­spiel eine ärzt­li­che Un­ter­su­chung vor Aus­stel­lung einer dies­be­züg­lich er­for­der­li­chen Be­schei­ni­gung. Im vor­lie­gen­den Fall sei dies je­doch an­ders ein­zu­ord­nen: Hier werde durch die Er­klä­rung nicht sug­ge­riert, dass eine Un­ter­su­chung be­reits statt­ge­fun­den hat. Viel­mehr werde dar­auf hin­ge­wie­sen, dass erst noch eine kon­kre­te Un­ter­su­chung er­fol­gen müsse, um eine ab­schlie­ßen­de Ein­schät­zung ab­ge­ben zu kön­nen, näm­lich hier die Frage der All­er­gie. So­fern die Ärz­tin dies nur fest­ge­stellt hat, habe sie sich nicht ab­schlie­ßend über einen Ge­sund­heits­zu­stand ge­äu­ßert, son­dern le­dig­lich einen vor­über­ge­hen­den Zwi­schen­stand do­ku­men­tiert. In­so­fern sei das Gut­ach­ten auch nicht un­rich­tig, da es ja ge­ra­de zum Aus­druck brin­ge, dass noch keine Un­ter­su­chung statt­ge­fun­den habe. Dies ent­spre­che der Wahr­heit.

Pra­xis­hin­weis

Teil­wei­se sind im Me­di­zin­straf­recht – ins­be­son­de­re auch durch er­gan­ge­ne Ju­di­ka­te – straf­rechts­aus­wei­ten­de Aus­le­gun­gen und Ten­den­zen zu be­ob­ach­ten. Es ist er­freu­lich, dass die vor­lie­gen­de Ent­schei­dung sich voll­kom­men an­ders ver­hält. Zu­tref­fend lehnt das LG Lü­ne­burg hier die Straf­bar­keit ab. Auf diese Art und Weise wird auch einer ex­ten­si­ven Aus­le­gung des Ge­sund­heits­zeug­nis­be­grif­fes vor­ge­beugt. Dar­über hin­aus har­mo­niert die Ent­schei­dung auch mit der bis­her be­stehen­den Sys­te­ma­tik: Es ist – wie auch die Ent­schei­dung an­klin­gen lässt – eine Straf­bar­keit denk­bar, wenn der Arzt eine Krank­heit ohne vor­he­ri­ge Un­ter­su­chung be­schei­nigt. Zu­gleich ist je­doch dann nicht von einem un­rich­ti­gen Ge­sund­heits­zeug­nis aus­zu­ge­hen, wenn sich bei einer Un­ter­su­chung nicht aller zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­tel be­dient wor­den ist (Gie­rok/Teub­ner in Sa­li­ger/Tsa­m­bi­ka­kis, Straf­recht der Me­di­zin, Seite 582; OLG Zwei­brü­cken, NStZ 1982, 467). Dem­entspre­chend muss erst recht von der feh­len­den Un­rich­tig­keit im Sinne der §§ 278, 279 StGB aus­ge­gan­gen wer­den, wenn die Be­schei­ni­gung in kei­ner Form sug­ge­riert, dass eine Un­ter­su­chung statt­ge­fun­den hat, son­dern diese ex­pli­zit erst noch in Aus­sicht stellt und auf eine rein freie Ein­schät­zung des Aus­stel­lers ver­weist. Dem­entspre­chend han­delt es sich ge­ra­de nicht um eine schrift­li­che Lüge.

LG Lü­ne­burg, Be­schluss vom 08.09.2022 - 22 Qs 55/22 (AG Lü­ne­burg), BeckRS 2022, 29495