Urteilsanalyse
Anforderungen an die schriftliche Entscheidung des Versicherers gemäß § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG
Urteilsanalyse
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@ Dirk-Carsten Günther

Die schriftliche Entscheidung des Versicherers gemäß § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG muss eindeutig und endgültig sein. Die Untätigkeit des Geschädigten über einen längeren Zeitraum führt im Regelfall nicht zu einer Verwirkung der Geltendmachung des Anspruchs. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden.

4. Feb 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 1/2021 vom 14.01.2021

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BGB §§ 288 II8551006; VVG § 115 II 3; ZPO § 529 I Nr. 1

Sachverhalt

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Straßenbahn, die beim Betrieb durch ein bei der Beklagten versichertes Fahrzeug beschädigt wurde. Sie macht ihren Anspruch auf Schadensersatz direkt gegen die Beklagte geltend.

Mit Schreiben vom 05.11.2012 hat die Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass im Rahmen der vertraglichen und gesetzlichen Regelungen die finanziellen Folgen des Unfalls übernommen werden. Es wurde darum gebeten, einen Fragebogen auszufüllen und Unterlagen vorzulegen. Mit Schreiben vom 30.01.2013 hat die Beklagte zur Vorlage von Belegen aufgefordert. Danach sollten die Ansprüche geprüft werden. Am Ende des Schreibens hat die Beklagte mitgeteilt, dass die Eintrittspflicht dem Grunde nach gegeben sei.

Mit Schreiben vom 23.04.2013 an die Beklagte hat die Klägerin einen bezifferten Anspruch aufgrund des streitgegenständlichen Unfalls geltend gemacht. Mit Schreiben vom 08.05.2013 hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Reparaturkostenrechnung nicht transparent sei. Daraufhin hat die Klägerin am 02.11.2016 den Reparaturablaufplan vorgelegt.

Das LG Darmstadt hatte die Klage abgewiesen.

Rechtliche Wertung

Die Berufung ist erfolgreich. Nach Auffassung des Senats ist der Anspruch nicht verjährt. Gemäß § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG ist die Verjährung von der Anmeldung des Anspruchs bis zur schriftlichen Entscheidung über den Direktanspruch des Dritten gehemmt. Für die Anmeldung des Direktanspruchs genüge ein einseitiger Akt des Dritten, die Mitwirkung oder das Einverständnis des Versicherers oder des Versicherungsnehmers sei nicht erforderlich.

Vorliegend habe die Klägerin mit Schreiben vom 23.04.2013 an die Beklagte zu 1. einen Anspruch aufgrund des streitgegenständlichen Unfalls geltend gemacht. Die Unfallmeldung des Versicherungsnehmers reiche in der Regel für die Anmeldung des Direktanspruchs nicht aus, da der Versicherungsnehmer erkennbar nur seine versicherungsrechtliche Obliegenheit erfüllen wolle. Die Hemmung ende mit der schriftlichen Entscheidung des Versicherers in Textform über den Direktanspruch. Erforderlich sei diesbezüglich eine eindeutige und endgültige Bescheidung des angemeldeten Anspruchs, gleichgültig ob gewährend oder ablehnend.

Hinsichtlich der positiven Erklärung bedürfe es vor dem Hintergrund der Schutzfunktion des Hemmungstatbestandes insoweit einer klaren und umfassenden Erklärung des Versicherers. Die Verjährungshemmung könne nur dann ihr Ende finden, wenn dem Anspruchsteller durch die Erklärung zweifelsfreie Klarheit über die Haltung des Haftpflichtversicherers des Schädigers gegenüber seinen Forderungen als Grundlage für eine sachgerechte Durchsetzung seiner Ansprüche verschafft werde. Nach diesen Maßstäben könne im vorliegenden Fall hinsichtlich der Schreiben der Beklagten zu 1. vom 05.11.2012 und 08.05.2013 nicht von einer umfassenden Entscheidung gesprochen werden.

Bezüglich des Schreibens vom 05.11.2012 sei zu berücksichtigen, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt war, in welchem Umfang bzw. in welcher Höhe überhaupt Ansprüche aus dem streitgegenständlichen Unfall geltend gemacht werden. Auch das Schreiben vom 30.01.2013 stelle keine solche umfassende Entscheidung dar. Die Klägerin könne aufgrund der Erklärung zwar den Schluss ziehen, dass die Beklagte zu 1. keine Einwendungen mehr hinsichtlich der Haftung dem Grunde nach vorbringen wird. Hieraus ergebe sich jedoch nicht ohne weiteres, dass die Ansprüche auch der Höhe nach freiwillig reguliert werden, sofern die Klägerin die entsprechenden Schadenspositionen der Höhe nach ausreichend belegt. Mit Schreiben vom 08.05.2013 werde lediglich darauf hingewiesen, dass die Reparaturkostenrechnung hinsichtlich des Reparaturumfangs nicht transparent sei. Dies stelle erst recht keine endgültige Entscheidung, auch nicht im Sinne einer endgültigen Ablehnung der Ansprüche, dar.

Solange eine den Anforderungen des § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG entsprechende Entscheidung nicht vorliege, bleibe die Verjährung des Direktanspruchs auf Dauer gehemmt. Auch eine Verwirkung könne in diesem Fall nicht eintreten. Der Versicherer werde dadurch nicht unbillig belastet, denn er habe es selbst in der Hand, durch eine formwahrende abschließende und eindeutige Entscheidung die Verjährung wieder in Lauf zu setzen. Aus der Tatsache allein, dass die Klägerin erst am 02.11.2016 auf das Schreiben der Beklagten zu 1. vom 08.05.2013 reagiert hat, resultiere nicht, dass es der Klägerin nach Treu und Glauben verwehrt sei, sich auf das Fehlen einer endgültigen Entscheidung im Sinn des § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG zu berufen. Beantworte der Geschädigte Fragen des Versicherers (zunächst) nicht, so ende die Hemmung nicht etwa zu dem Zeitpunkt, zu dem spätestens eine Antwort zu erwarten gewesen wäre. Die Beklagte zu 1. könne nicht davon ausgehen, dass die Klägerin erkennbar keine Ansprüche mehr geltend machen wolle.

Praxishinweis

Das OLG Frankfurt a. M. setzt ähnlich wie frühere Urteile hohe Maßstäbe an die Erfordernisse einer schriftlichen Entscheidung des Versicherers gemäß § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG. Bereits der BGH entschied in seinem Urteil vom 14.03.2017 (Az. VI ZR 226/16, BeckRS 2017, 111508, Anmerkungen Grams in FD-VersR 2017, 392335), dass eine positive Entscheidung des Versicherers die Verjährungshemmung im Sinn des § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG nur dann beende, wenn der Anspruchsteller aufgrund dieser Entscheidung sicher sein könne, dass auch künftige Forderungen aus dem Schadensfall freiwillig bezahlt werden, sofern er die entsprechenden Schadensposten der Höhe nach ausreichend belegt. Demnach müsse die Erklärung zu den Ansprüchen erschöpfend, umfassend und endgültig sein.

Zu beachten ist jedoch, dass eine entsprechende schriftliche Entscheidung des Versicherers aufgrund von Treu und Glauben (§ 242 BGB) obsolet ist, wenn der Geschädigte von der Verfolgung der zunächst geltend gemachten Ansprüche eindeutig absieht (vgl. W.-T. Schneider in Münchener Kommentar zum VVG, 2. Auflage 2017, § 115 VVG, Rn. 38). So entschied das OLG Naumburg in seinem Urteil vom 08.11.2007 (Az.: 1 U 81/07), dass der Geschädigte sich jedenfalls dann nicht mehr auf die Hemmung berufen könne, wenn er nach dem Zeitpunkt, zu dem alle Beteiligten der Schadensregulierung übereinstimmend von deren Abschluss ausgegangen sind, mehr als zehn Jahre nicht erneut einen weiteren Anspruch geltend gemacht hat.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 05.11.2020 - 22 U 222/19 (LG Darmstadt), BeckRS 2020, 34230