Anmerkung von
Rechtsanwältin Jessica Friedrich, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz
Aus beck-fachdienst Strafrecht 21/2020 vom 29.10.2020
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Sachverhalt
Mit Urteil des LG vom 24.3.2020 wurde erneut die Unterbringung des Beschuldigten (B) in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Im Jahr 2006 hat das LG erstmalig die Unterbringung des B in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. 11 Jahre später setzte das OLG die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus und wies den B an, das Gelände der Einrichtung, in der er untergebracht ist, nicht ohne Begleitung einer dafür zugelassenen Person und nicht ohne Erlaubnis der Führungsaufsichtsstelle zu verlassen sowie keine alkoholischen Getränke zu sich zu nehmen.
Während seiner Bewährungszeit verstieß der B zum wiederholten Male gegen die Anweisung und begab sich in die Innenstadt, wo er Alkohol trank. Sein Bezugspfleger (G) suchte ihn auf und forderte ihn auf, gemeinsam zurück zur Einrichtung zu gehen. Dabei fasste er ihn am Oberarm. Der B wollte nicht freiwillig mitgehen. Er zog ein Schälmesser hervor und äußerte unter dessen Vorhalt: „Ich steche dich ab“ und „Ich will wieder nach A.“. Der G bekam aufgrund der Bewaffnung Angst. Er forderte den B auf, das Messer loszulassen und drückte ihn gegen eine Wand. Es entstand ein Gerangel um das Messer, wobei beide Schnittverletzungen an den Händen erlitten.
Die Strafkammer hat angenommen, dass B eine Bedrohung gemäß § 241 Abs. 1 StGB und eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begangen hat. Dabei sei seine Steuerungsfähigkeit aufgrund der festgestellten Intelligenzminderung und des Alkoholkonsums aufgehoben gewesen.
Gegen diese Entscheidung hat B Revision eingelegt
Entscheidung
Der BGH entschied, dass die Unterbringungsanordnung unter mehreren Gesichtspunkten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält.
Die Urteilsgründe ließen eine revisionsrechtliche Überprüfung dahingehend, ob die dem B angelastete gefährliche Körperverletzung zu Recht als Anlasstat herangezogen worden sei, nicht zu.
Nach § 63 StGB müsse der B eine rechtswidrige Tat begangen haben. Eine rechtswidrige Tat liege dann nicht vor, wenn sich der Täter auf einen Rechtfertigungsgrund berufen könne. Nach § 32 StGB sei eine Tat durch Notwehr gerechtfertigt, wenn sie erforderlich sei, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich abzuwehren, was sich nach der objektiven Sachlage bestimme. Eine von Rechts wegen hinzunehmende oder ihrerseits durch Notwehr gerechtfertigte Tat sei kein ein Notwehrrecht begründender, rechtswidriger Angriff. Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat sei gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führe und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handele, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung gestanden habe. Die Urteilsgründe ließen offen, ob der B einem rechtswidrigen Angriff des G ausgesetzt gewesen sei, als es zu den Verletzungen mit dem Messer kam. Damit könne die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens insoweit nicht beurteilt werden. Die Feststellungen ergeben zwar, dass der B bereits zu Beginn sein Messer gezogen und mit dem „Abstechen“ gedroht habe; ob er den G aber auch schon zu diesem Zeitpunkt tatsächlich habe angreifen wollen, lasse sich den Feststellungen nicht entnehmen.
Auch die Gefahrenprognose begegne durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB dürfe nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestünde, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen würde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet würden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet würde. Die dazu notwendige Prognose sei auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln; sie müsse sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem B drohten und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung sei.
Das sachverständig beratene LG habe angenommen, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestünde, dass sich Taten wie die Anlasstat wiederholen würden. Ob es vor dem Hintergrund seiner krankheitsbedingt schnellen Überforderung zu Situationen komme, in denen er aggressiv und gewaltbereit reagiere, sei dann letztlich nur vom Zufall abhängig. Diese Erwägungen seien lückenhaft, denn sie bezögen nicht in die Betrachtung ein, dass sich der B bei der Begehung der Anlasstat aufgrund der aggressiven Herangehensweise des G in einer besonderen Situation befunden hätte.
Für die neue Hauptverhandlung weise der Senat darauf hin, dass eine nochmalige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetze, dass von ihr Wirkungen ausgingen, die nicht bereits der erste Maßregelausspruch zeitige. Dabei sei auch in Erwägung zu ziehen, inwieweit neu zu Tage getretenen Betreuungs- und Kontrollbedürfnissen durch eine Anpassung der bisherigen Unterbringung Genüge getan werden könne.
Praxishinweis
Richtigerweise hob der BGH das Urteil des LG mangels hinreichender Feststellungen auf.
Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass der Beschuldigte bereits 11 Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht war, bis die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt und schließlich erneut angeordnet worden ist. Vor diesem Hintergrund ist der Hinweis des BGH für die neue Hauptverhandlung auf die Voraussetzungen einer nochmaligen Anordnung erfreulich. Nach der st. Rspr. des BGH ist bei der Frage, ob eine Unterbringung nach § 63 StGB erneut angeordnet werden kann, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in besonderer Weise Rechnung zu tragen. Das ist zu berücksichtigen, wenn das neue Urteil erhebliche Auswirkungen auf Dauer und Ausgestaltung des Maßregelvollzugs haben kann und das Erkenntnisverfahren in besserer Weise als das Vollstreckungsverfahren dazu geeignet ist, die neue Symptomtat sowie die sich darin widerspiegelnde Gefährlichkeit eines Beschuldigten für alle an der Maßregelvollstreckung Beteiligten verbindlich festzustellen und damit Änderungen in der Ausgestaltung des Vollzugs oder die Anordnung von dessen Fortdauer zu legitimieren (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2017, 170; BGH BeckRS 2013, 7384).
BGH, Beschluss vom 08.09.2020 - 4 StR 288/20 (LG Münster), BeckRS 2020, 24574