Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl
Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 01/2021 vom 14.01.2021
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Sachverhalt
Ein Anwalt begehrte von seiner Rechtsanwaltskammer die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt. Im Fragebogen zu dem Zulassungsantrag gab er an, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren anhängig sei. Die Anwaltskammer forderte ihn deshalb auf, darüber nähere Auskunft zu erteilen oder sie schriftlich zu ermächtigen, selbst Auskunft bei der Staatsanwaltschaft einzuholen. Anderenfalls müsse der Zulassungsantrag abgelehnt werden.
Da der Anwalt der Aufforderung nicht nachkam, lehnte die Anwaltskammer seinen Zulassungsantrag mangels hinreichender Mitwirkung als unzulässig ab. Dagegen erhob der Anwalt Klage. Er machte geltend, er sei gegenüber der Anwaltskammer nicht zur Auskunft über das Ermittlungsverfahren verpflichtet gewesen. Die Anwaltskammer hätte die Auskünfte selbst bei der Staatsanwaltschaft einholen müssen.
Entscheidung: Amtsermittlungsgrundsatz verletzt, Anwaltskammer hätte Auskünfte selbst bei der Staatsanwaltschaft anfordern müssen
Die Klage hatte teilweise Erfolg.
Die Anwaltskammer müsse über den Zulassungsantrag unter Beachtung Rechtsauffassung des Senats erneut entscheiden. Die Anwaltskammer müsse vor der Entscheidung über die Zulassung prüfen, ob Versagungsgründe vorliegen. Dabei gelte im Zulassungsverfahren grundsätzlich der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 32 BRAO, § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Dieser finde aber dort seine Grenze, wo die Zulassungsvoraussetzungen nicht mehr von Amts wegen ermittelt werden könnten. Verweigere der Antragsteller in diesem Fall seine Mitwirkung, könne der Antrag als unzulässig abgelehnt oder das Verfahren ausgesetzt werden.
Hier habe die beklagte Anwaltskammer im Rahmen der Amtsermittlung nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Sie hätte die begehrten Auskünfte unmittelbar bei der Staatsanwaltschaft anfordern müssen. Der Hinweis, dass die Staatsanwaltschaft in der Vergangenheit Gesuche abgelehnt habe, entbinde sie nicht von ihrer Verpflichtung zur Amtsermittlung im Einzelfall. Die Staatsanwaltschaft hätte die Informationen auch erteilen können und müssen (§ 474 Abs. 2 Nr. 2 StPO, § 13 Abs. 1 Nr. 1 EGGVG, § 36 Abs. 2 BRAO). Darüber hinaus wäre die Staatsanwaltschaft entsprechend § 120a BRAO verpflichtet gewesen, die Anwaltskammer zu unterrichten, wenn sie von einem Verhalten des Klägers Kenntnis erlangt hätte, das den Verdacht einer schuldhaften Verletzung seiner Pflichten begründe, die mit anwaltsgerichtlichen Maßnahmen geahndet werden könnten. Die Anwaltskammer könne sich für die unterlassenen Amtsermittlungsschritte auch nicht auf die Untätigkeit des Klägers berufen. Schließlich hätte die Beklagte als weniger einschneidende Maßnahme das Verfahren gem. § 10 BRAO aussetzen können.
Praxishinweis
Über die Verweisung in § 32 BRAO findet die Regelung zum Untersuchungsgrundsatz in § 24 Abs. 1 Satz 1 VwVfG unmittelbar Anwendung. Es gilt der Grundsatz der Amtsermittlung. (Reelsen in Weyland, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 36 BRAO, Rn. 4). § 24 VwVfG verpflichtet die Behörden zu einer umfassenden Ermittlung des für eine spätere Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts. Grundsätzlich muss die Behörde alle im Rahmen des Zumutbaren bestehenden Möglichkeiten der Sachaufklärung ausschöpfen, um die für eine Entscheidung notwendige Überzeugung zu erhalten (Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 24 VwVfG Rn. 15).
AGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.11.2020 - 1 AGH 9/20, BeckRS 2020, 33324