Anmerkung von
Rechtsanwalt Joachim Zobel, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft
Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 21/2021 vom 14.10.2021
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Sachverhalt
Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche im Zusammenhang mit dem Altersteilzeitarbeitsverhältnis („ATZ“). Die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Rheinhessen finden Anwendung.
Die Parteien schlossen 2015 einen ATZ-Arbeitsvertrag im Blockmodell. Die individuelle regelmäßige Wochenarbeitszeit des Klägers betrug ab dem 1.3.2015 die Hälfte der bisher vereinbarten Arbeitszeit mit der Maßgabe, dass die Arbeitszeit in der Arbeitsphase bis zum 31.8.2017 voll geleistet und er in der Freistellungsphase ab dem 1.9.2017 bis zum 29.2.2020 von der Arbeitsleistung freigestellt wird. Am 1.1.2019 wurde das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Gleichwohl erhielt der Kläger in der Zeit von Januar bis Juni 2019 das volle ATZ-Entgelt. Nach dem Insolvenzplan („IP“) betrug die Insolvenzquote 5 %.
Am 15.7.2019 forderte die Beklagte vom Kläger überzahlte Beträge für die Monate April, Mai und Juni 2019 zurück, da sie nur noch das monatliche Wertguthaben aus der Versicherung hätte auszahlen dürfen, da die Vergütungsansprüche ab Januar 2019 Insolvenzforderungen seien. Mit der beim Arbeitsgericht Trier erhobenen Klage begehrte der Kläger für die Monate Juli 2019 bis Februar 2020 den Differenzbetrag zwischen dem beanspruchten monatlichen Bruttoentgelt und den ab Juli 2019 gezahlten Beträgen. Ferner begehrt er Zahlung des tariflichen Zusatzgeldes. Die Beklagte nahm den Kläger im Wege der Widerklage auf Rückzahlung überbezahlter Beiträge.
Das ArbG Trier verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des tariflichen Zusatzentgelts und eines Teils der eingeklagten Forderung. Im Übrigen wies es die Klage ab. Ferner gab es der Widerklage statt.
Gegen das Urteil legte der Kläger bei dem LAG Rheinland-Pfalz Berufung ein.
Entscheidung
Das Berufungsgericht änderte die Klage teilweise ab, indem es dem Kläger nur die im IP festgelegte Planquote von 5 % hinsichtlich der Vergütung und den Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld nur teilweise zusprach. Im Übrigen wurden die Klage sowie die Widerklage abgewiesen.
Begründet wurde dies damit, dass die eingeklagten Vergütungsforderungen Insolvenzforderungen seien. Nach § 108 Abs. 3 InsO würden Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis Insolvenzforderungen, wenn es sich um solche „für“ die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens handele. Die Abgrenzung der Forderungen erfolge danach, wann die Arbeitsleistung erbracht worden sei. Dagegen komme es nicht darauf an, wann der Arbeitnehmer („AN“) die Zahlungen verlangen könne. Im Blockmodell der ATZ trete der AN während der Arbeitsphase in Vorleistung. Er erarbeite hierdurch Entgelte, die nicht ausgezahlt, sondern für die spätere Freistellungsphase angespart würden. Das in der Freistellungsphase ausgezahlte Entgelt sei Gegenleistung für die bereits während der Arbeitsphase geleistete Arbeit.
Da das Insolvenzverfahren in der Freistellungsphase eröffnet worden sei, sei das in der Freistellungsphase verlangte Arbeitsentgelt im insolvenzrechtlichen Sinne „für“ die während der Arbeitsphase geleistete Arbeit geschuldet. Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens führe nicht dazu, dass die Zahlungsansprüche uneingeschränkt durchsetzbar seien.
Bei dem zusätzlichen Tarifentgelt handele es sich um Masseverbindlichkeiten iSv § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO, da dieses eine stichtagsbezogene Sonderzahlung darstelle, bei der allein der Stichtag für die Zuordnung zu einem insolvenzrechtlich relevanten Zeitraum entscheidend sei. Der maßgebliche Stichtag falle vorliegend in die Zeit nach Insolvenzeröffnung, da der relevante Tarifvertrag erst am 1.1.2019 in Kraft getreten sei. Dem Kläger stehe jedoch die eingeklagte Forderung nicht in voller Höhe zu, da der einschlägige Tarifvertrag auf das Grundentgelt abstellt, zu dem weder Aufstockungsbeträge noch Kontoführungsgebühren bzw. vermögenswirksame Leistungen gehören.
Der im Wege der Widerklage erhobene Anspruch der Beklagten scheidet gem. § 254 Abs. 3 InsO aus.
Praxishinweis
Die (Rück)Abwicklung der ATZ stellt den Insolvenzverwalter vor besondere Herausforderungen:
Das Arbeitsverhältnis in ATZ unterfällt der Regelung des § 113 InsO; gleichwohl kann in der Freistellungsphase keine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen werden. In der Arbeitsphase ist eine betriebsbedingte Kündigung grundsätzlich möglich, soweit das Ende der Kündigungsfrist noch in der Arbeitsphase liegt.
Dem AN steht in der Freistellungsphase mangels Arbeitspflicht kein gesetzlicher Anspruch auf Urlaub zu. Zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen ist der Urlaub aus der Arbeitsphase vor Beginn der Freistellungsphase vollständig zu gewähren.
AN in ATZ erhalten Insolvenzgeld; der Aufstockungsbetrag ist insolvenzgeldfähig. Nach Insolvenzeröffnung sind Zahlungen an ATZ-AN in der Freistellungsphase aus dem Vermögen des Unternehmens nicht mehr zulässig.
Soweit der Insolvenzverwalter ATZ-AN in der Arbeitsphase beschäftigt, ist er zur Wertsicherung (für Ansprüche in der Freistellungsphase) verpflichtet, da nunmehr Masseverbindlichkeiten „erarbeiten“ werden.
Die „Rückabwicklung“ des ATZ-Arbeitsverhältnisses ist im Rahmen der „Störfallabrechnung“ vorzunehmen. Neben der Auszahlung des abgerechneten Wertguthabens an die AN als „Einmalbetrag“ besteht bei beendetem ATZ-Arbeitsverhältnis die Möglichkeit der „Übertragung des Wertguthabens“ auf die Deutsche Rentenversicherung („DRV“) mit späterer monatlicher Auszahlung durch die DRV.
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20.05.2021 - 2 Sa 170/20 (ArbG Trier), BeckRS 2021, 25924