Urteilsanalyse
Altersteilzeit und tarifliche Abfindung bei vorzeitigem Rentenbeginn
Urteilsanalyse
urteil_lupe
© Stefan Yang / stock.adobe.com
urteil_lupe

Der Abfindungsanspruch aus § 6 KonzernAtzTV setzt das Erreichen eines bestimmten Lebensalters und einen Rentenverlust aufgrund eines vorzeitigen Renteneintritts voraus. Arbeitnehmer, die Altersrente für besonders langjährige Versicherte erhalten, beziehen keine vorzeitige Rente, so das BAG.

19. Mai 2022

Anmerkung von
RAin Dr. Doris-Maria Schuster, Gleiss Lutz, Hamburg

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 19/2022 vom 19.05.2022

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des wöchentlich erscheinenden Fachdienstes Arbeitsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Arbeitsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Arbeitsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de.

Sachverhalt

Der Kläger verlangte von der Beklagten die Zahlung einer Abfindung zur Minderung von Rentenverlusten nach dem „Tarifvertrag zur Förderung von Altersteilzeit für die Arbeitnehmer verschiedener Unternehmen des DB Konzerns“ (KonzernAtzTV). Der 1955 geborene Kläger war seit 1973 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten angestellt. 2017 schlossen die Parteien eine Altersteilzeitvereinbarung, welche Ende 2018 auslief. Seit 2019 bezog der Kläger eine Altersrente für besonders langjährige Versicherte. Nach Auskunft der Deutschen Rentenversicherung hätte er ca. 200 EUR mehr Rente erhalten können, wenn er seine Vollzeittätigkeit bis Ende 2018 fortgeführt hätte. Der Kläger begehrte aufgrund dieser Auskunft die Zahlung einer Abfindung nach § 6 KonzernAtzTV. Hiernach erhält ein Arbeitnehmer, der zum Ende des Alterszeitverhältnisses das 63. Lebensjahr vollendet hat, eine Abfindung. Diese dient nach § 6 II KonzernAtzTV ausschließlich der Minderung des Rentenverlustes, den der Arbeitnehmer durch den vorzeitigen Rentenbeginn erleidet.

Sowohl das ArbG als auch das LAG wiesen die Klage zurück. 

Entscheidung

Das BAG bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen. § 6 KonzernAtzTV setzt kumulativ voraus, dass der betroffene Arbeitnehmer ein bestimmtes Lebensalter erreicht und durch den vorzeitigen Rentenbeginn einen Rentenverlust erlitten hat. Bei dem Begriff des vorzeitigen Rentenbeginns handelt es sich nach Ansicht des BAG um einen Rechtsbegriff, dem eine bestimmte Bedeutung zukommt. Da der Tarifvertrag keine abweichenden Bestimmungen enthielt, richtete sich die Auslegung des Begriffes „vorzeitiger Rentenbeginn“ nach seiner allgemeinen juristischen Bedeutung, in diesem Fall den Bestimmungen des SGB VI. Wann eine Rente vorzeitig in Anspruch genommen wird, richtet sich demnach nach den jeweiligen Vorschriften über die unterschiedlichen Altersrenten. Arbeitnehmer, die wie der Kläger, Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach §§ 38, 236b SGB VI erhalten, beziehen keine vorzeigte Rente. § 236b SGB VI sieht für Versicherte, die vor dem Jahr 1964 geboren sind, die Möglichkeit vor, nach einer Wartezeit von 45 Jahren bereits zu einem früheren Zeitpunkt, ohne Minderung des Zugangsfaktors, Rente in Anspruch zu nehmen. Da der Kläger diese Anforderungen erfüllte, handelte es sich bei seinem Renteneintritt um einen regulären Renteneintritt mit abgesenktem Renteneintrittsalter. Zudem ist bei dieser Rentenart ein vorzeitiger Renteneintritt gesetzlich nicht vorgesehen.

Der Kläger erfüllte daher die Anforderungen des § 6 KonzernAtzTV nicht. Seine verminderte Rente beruhte auf dem Umstand, dass er zum Ende seiner Tätigkeit kein Vollzeitarbeitsverhältnis mehr ausübte und nicht auf der Inanspruchnahme einer vorzeitigen Rente. § 6 KonzernAtzTV findet jedoch nur dann Anwendung, wenn der Arbeitnehmer einen Rentenverlust wegen vorzeitigem Rentenbeginns erleidet, nicht bei anderen Gründen.

Praxishinweis

Die Bestätigung des Urteils des ArbG durch das LAG und das BAG überrascht nicht. Der Wortlaut des KonzernAtzTV zusammen mit den Bestimmungen des SGB VI zur Rente für besonders langjährig Versicherte sind eindeutig. Nach dem klaren Willen der Tarifparteien sollten nur diejenigen Arbeitnehmer eine Abfindung erhalten, die aufgrund eines vorzeitigen Rentenbeginns eine Einkommensminderung hinnehmen müssen. Das war bei dem Kläger nicht der Fall, weil er nicht vorzeitig, sondern regulär, aufgrund seiner langen Versicherungsdauer aber mit einem abgesenkten Renteneintrittsalter, in Rente ging. Arbeitnehmervertreter, die Arbeitnehmer bei dem Abschluss von Altersteilzeitarbeitsverträgen beraten, sollten diese auf das Risiko einer möglicherweise (geringfügig) verminderten Rente aufgrund des niedrigeren Altersteilzeiteinkommens hinweisen.


BAG, Urteil vom 25.01.2022 - 9 AZR 248/21 (LAG Schleswig-Holstein), BeckRS 2022, 8189