Urteilsanalyse
Ärztliche Tätigkeit beim Blutspenden gilt als Beschäftigung
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Ärztinnen und Ärzte, die potentielle Blutspender gem. § 5 TFG voruntersuchen und über deren Spendentauglichkeit entscheiden, sind nach Ansicht des BSG beim Blutspendedienst an den von ihnen ausgewählten Einsatztagen beschäftigt i.S.d. § 7 SGB IV.

17. Mai 2022

Anmerkung von

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 10/2022 vom 13.05.2022

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Sachverhalt

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Versicherungspflicht der beigeladenen Ärztin in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen ihrer Tätigkeit als voruntersuchende Ärztin im Blutspendedienst im Zeitraum vom 20.09.2016 bis 27.02.2019. Die Klägerin, eine gGmbH, hält an wechselnden Einsatzorten in Baden-Württemberg und Hessen Blutspendetermine ab. Die ärztlichen Personen führen die nach § 5 Transfusionsgesetz (TFG) notwendigen Voruntersuchungen der spendenden Personen auf der Grundlage einer schriftlichen Arbeitsanweisung der Klägerin durch und entscheiden über deren Spendentauglichkeit in eigener ärztlicher Verantwortung. Hierfür rekrutiert die Klägerin insbesondere aus dem Kreis niedergelassene oder im Ruhestand befindliche Ärzte. Bei jeder Blutspendeaktion ist auch ein leitender Arzt tätig, der über die Voruntersuchung hinaus für Notfälle, Kollapse und ähnliche Vorfälle zuständig ist. Die Blutspendetermine wurden entsprechend den Vorgaben der Klägerin in den von ihr ausgestatteten Räumlichkeiten in öffentlichen Gebäuden durchgeführt. Die beigeladene Ärztin übernahm auf der Grundlage eines „Rahmenvertrags über freie Mitarbeit“ die Aufgabe einer voruntersuchenden ärztlichen Person. Sie war in eine von der Klägerin geführte Liste von Ärzten aufgenommen. Die beklagte DRV Bund stellte auf Antrag gem. § 7a SGB IV die Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung in der GRV fest.

Widerspruch, Klage und Berufung waren erfolglos. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Zu klären sei eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob nämlich Dienste höherer Art auch dann in Form einer Beschäftigung ausgeübt werden, wenn sich Arbeitszeit und Arbeitsort aus „mit der Tätigkeit verbundenen Notwendigkeiten“ ergeben.

Entscheidung

Das BSG weist die Beschwerde als unbegründet zurück. Nach den Feststellungen des LSG stellte die Klägerin nahezu das gesamte Equipment für den jeweiligen Einsatz zur Verfügung und auch persönliche Arbeitsmittel. Die Tätigkeit war „im Wesentlichen fremdbestimmt organisiert“. Bei der Gesamtabwägung sind auch solche Umstände zu berücksichtigen, deren Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent oder durch gesetzliche Vorschriften festgelegt ist. Solche Umstände sind zwar nicht zwingend entscheidende Indizien für eine abhängige Beschäftigung. Umgekehrt ist eine abhängige Beschäftigung aber nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil sich bestimmte Weisungsrechte oder Vorgaben aus der Eigenart der Tätigkeit ergeben oder ihr innewohnen. Indiz für eine selbständige Tätigkeit sei, wenn bei Verrichtung der Tätigkeit eine Weisungsfreiheit verbleibt, die sie insgesamt als eine Unternehmerische kennzeichnet. Je enger der übertragene Tätigkeitsbereich abgesteckt ist, weil der Auftrag- oder Arbeitgeber nicht auf eigene Gestaltungsmöglichkeiten verzichtet, desto weniger Spielraum kann der übertragenen Tätigkeit noch immanent sein.

Praxishinweis

1. Die Beschwerde im vorliegenden Fall hatte sich gleichsam überschnitten mit einer Fortentwicklung der Rechtsprechung des Senats, u.a. durch die Entscheidung vom 19.10.2021 (BeckRS 2021, 39899, betreffend die Tätigkeit einer ambulanten Pflegeperson als beschäftigt) und durch das Urteil vom 27.04.2021 (BeckRS 2021, 29731, betreffend einen Fahrkartenkontrolleur). Der Senat stellt mit diesem Beschluss klar, dass Sachzwänge, unabhängig davon, wo sie ihren Ursprung haben (Gesetz, Verordnung, Verwaltungspraxis, Dritte oder Auftraggeber), ein wichtiges Indiz für die Statusfeststellung sind.

2. Es ging hier um tageweise Aufträge. Die klagende gGmbH muss nun Nachmeldungen vornehmen. Die gGmbH wird sich fragen, ob hier nicht Versicherungsfreiheit vorliegt, da die Zahl der Aufträge pro Jahr weit unterhalb der Grenzen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV liegen. Die Ärztin wird möglicherweise geltend machen, sie sei beim Ärztlichen Versorgungswerk versichert und habe auch aus den Einkünften, die sie für die Voruntersuchungen erzielte, Beiträge an das Versorgungswerk gezahlt. Man müsste dann die Einlassungen der Ärztin, etwa im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens, als Antrag auf Befreiung gem. § 6 SGB VI auslegen.


BSG, Beschluss vom 01.02.2022 - B 12 R 42/20 B, BeckRS 2022, 6203