Urteilsanalyse
Ärztliche Aufklärungspflicht bei Covid-19-Impfungen mit einem mRNA-Impfstoff
Urteilsanalyse
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Obwohl es sich bei den Covid-19-Impfungen wegen der Verabreichung eines neuartigen mRNA-Impfstoff nicht um eine Routineimpfung im Sinne der Rechtsprechung handelt, sind die Grundsätze des BGH zu den sog. Routineimpfungen nach einem Urteil des LG Heilbronn übertragbar.

6. Sep 2023

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Lucia Kretschmer, LEX MEDICORUM, Leipzig
 
Aus beck-fachdienst Medizinrecht 09/2023 vom 01.09.2022

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Sachverhalt

Klagend trat eine Auszubildende zur Kranken- und Altenpflegerin auf, die die beklagte Impfärztin auf Schmerzensgeld und Schadenersatz in Anspruch nahm. Die streitgegenständlichen Impfungen fanden am 16.01.2021 sowie 06.02.2021 in der Pflegeinrichtung statt, in welcher die Klägerin ihre Ausbildung absolvierte. Im Vorfeld hierzu händigte die Pflegedienstleiterin einen Aufklärungsbogen aus, in dem die Klägerin u.a. ankreuzte, dass sie der vorgeschlagenen Impfung zustimme. Nicht angekreuzt wurde aber die Stelle, aus der sich ein ausdrücklicher Verzicht auf das Aufklärungsgespräch ergeben hätte. Am 05.01.2021 fand in der Pflegeeinrichtung zusätzlich eine Informationsveranstaltung der Beklagten zu den bevorstehenden Impfungen statt. An dieser Veranstaltung nahm die Klägerin nicht teil. Nach der zweiten Impfung der Klägerin bestand der Verdacht einer Impfreaktion, die sich durch eine geringgradige sensomotorische Hemiparese links und leichte Gangunsicherheit äußerte. Aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs war die Ursächlichkeit der Impfung sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht organpathologisch bestätigt. Streitig blieben die genauen Umstände der Aufklärung und Durchführung der Impfungen. Klägerseitig wurde behauptet, dass man nicht auf ein Aufklärungsgespräch habe verzichten wollen und es sich bei der Impfaktion um eine Massenveranstaltung handelte, bei der bereits die Möglichkeit einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht bestanden habe. Die Beklagte dementierte dies, indem sie u.a. vortrug, die Informationskundgabe am 05.01.2021 erfolgte gruppenweise und nicht als Massenveranstaltung. Zudem habe sie dem Personal jeweils Einzelgespräche angeboten. Vor der jeweiligen Impfung fragte sie die Klägerin u.a., ob sie noch Fragen habe oder unter einer Infektion leide. Vor der zweiten Impfung habe sich die Beklagte erkundigt, inwieweit die Klägerin die erste Impfung vertragen habe.

Entscheidung

Das LG war davon überzeugt, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung stattgefunden hat und wies die Klage vollumfänglich ab. Die Begründung stützte es im Wesentlichen auf die Grundsätze der BGH-Rechtsprechung zu sog. Routineimpfungen. Hiernach sei es ausreichend, wenn der Impfling erst am Tag der Impfung aufgeklärt wird. Unterstützend könne man Merkblätter verwenden, aus denen sich die notwendigen Informationen zum Eingriff und dessen Risiken ergeben. Das Aufklärungsgespräch wäre dadurch aber nicht ersetzbar. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass diese Leitsätze auch auf die Covid-19-Impfung Anwendung finden sollen, selbst wenn sie zum streitgegenständlichen Zeitpunkt keine Routineimpfung darstellte. Das LG erläutert, dass es wegen der sonderlichen Pandemielage schlicht logistisch kaum leistbar gewesen wäre, stets ein ausführliches ärztliches Aufklärungsgespräch im Vorfeld einer jeden Impfung zu verlangen. Ein solches wäre zudem aufgrund des Umstandes des hohen Informationsstandes zur Coronaimpfung innerhalb der Bevölkerung auch nicht erforderlich gewesen. Die Hinzuziehung von Merkblättern und die Eröffnung der Möglichkeit eines mündlichen Arztgespräches vor der Impfung waren bei der bekannten Gemengelage angemessen, so die Kammer. Es genüge ferner, wenn der Arzt sich vor der Impfung durch Nachfragen absichere, ob seitens des Impflings noch Fragen bestünden. Ein Schweigen hierauf darf der Arzt als Verzicht des Impflings auf eine weitergehende Informationsgabe verstehen.

Der gerichtlichen Darstellung folgend, führte die Beweisaufnahme zu der Erkenntnis, dass die Klägerin zum einen schriftlich mittels Aufklärungsbogen über die Risiken der Impfung informiert und zum anderen ihr die Möglichkeit der Fragenstellung seitens der Beklagten in einem persönlichen Gespräch eingeräumt wurde. Auch habe die Klägerin trotz der gegebenen Umstände vor Ort nicht unter einem derartigen Druck gelitten, durch welchen ihr die Option für Rückfragen abgeschnitten worden wäre. Überzeugend führte die Beklagte hierzu aus, dass eine Vielzahl der Impflinge die Möglichkeit des persönlichen Gespräches wahrgenommen hätte, einige von ihnen entschieden sich daraufhin sogar gegen die Impfung. Die Beklagte sei damit in jeder Hinsicht ihrer Aufklärungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen.

Praxishinweis

Derzeit häufen sich die Urteile zur Thematik der Impfschäden. Hierzulande werden, je nach dem welcher Verantwortlicher beansprucht wird, unterschiedliche Rechtswege aufgesucht. Das hiesige zivilgerichtliche Verfahren richtete sich nicht gegen den Hersteller des Impfstoffes, sondern fußte auf einer Aufklärungsrüge zu Lasten der behandelnden Impfärztin. Das Gericht vermochte es in diesem Zusammenhang, die hinlänglich bekannten Grundsätze zur Aufklärung bei Routineimpfungen im Gewand der neuartigen Coronaimpfungen mittels mRNA-Impfstoff einzukleiden. Auch wenn die Begründung hierfür vor allem pragmatischer und nicht dogmatischer Natur ist, verkennt die Kammer richtigerweise nicht die Bedeutsamkeit der Aufklärung an sich. Künftig wird es daher von wesentlicher Tragweite sein, trotz gesonderter Umstände – wie einer Pandemie – wichtigen Grundpfeilern der Selbstbestimmung des Patienten, wie der Aufklärung und Einwilligung, weiterhin die nötige Aufmerksamkeit zuzuschreiben.

LG Heilbronn, Urteil vom 14.02.2023 - Wo 1 O 65/22, BeckRS 2023, 1660