Eine Umfrage der Deutschen Richterzeitung kommt zu dem Ergebnis, dass auch Gerichtsvollzieherinnen und Justizwachtmeister, Richterinnen und Staatsanwälte sich immer wieder Beleidigungen und Bedrohungen ausgesetzt sehen. Erst vor wenigen Wochen hat sich zum Beispiel in Sachsen ein Fall ereignet, der bedrückend ist: Nach einem Gerichtsprozess um gefälschte Corona-Atteste vor dem Landgericht Dresden umstellten zwei Frauen und ein Mann an einer Kreuzung das Auto, in dem die Mitglieder der Strafkammer saßen. Das aufgebrachte Trio soll an der verschlossenen Fahrertür gerüttelt und wüste Beschimpfungen ausgestoßen haben.
Auch in den sozialen Medien sehen sich die Gerichte inzwischen mit Beschimpfungen, Beleidigungen und sogar Gewaltaufrufen konfrontiert. So häuften sich nach dem Ende eines Prozesses gegen mehrere junge Männer wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung einer 15-Jährigen in Hamburg Ende 2023 im Internet Hasskommentare und Bedrohungen gegen das Gericht. Es sei erschreckend, wie mehr oder weniger unverhohlen zur Gewalt aufgerufen würde, zeigte sich der Hamburger Richterverein entsetzt. Das sei auch ein gezielter Angriff auf den Rechtsstaat.
Wenngleich drastische Fälle wie diese bislang die Ausnahme sind, so zeigen sich viele Justizvertreter doch besorgt darüber, dass der Respekt für die Justiz eher schwindet, die Frustrationstoleranz sinkt und die Aggressivität insbesondere seit der Corona-Pandemie zunimmt. Belastbare Statistiken über Beleidigungen, Bedrohungen oder körperliche Angriffe auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz gibt es zwar nicht in allen Bundesländern, der Eindruck ist aber verbreitet, dass Verfahrensbeteiligte und Zuschauer emotionaler reagieren und die Neigung sinkt, Entscheidungen zu akzeptieren. Allein in Bayern ereigneten sich innerhalb eines Jahres 541 Vorfälle, die von den Betroffenen oder ihren Dienststellen zur Anzeige gebracht worden sind. Es ging dabei unter anderem um den Vorwurf der Köperverletzung, Beleidigung, Nötigung oder Bedrohung von Richtern, Staatsanwälten, Gerichtsvollziehern, Justizwachtmeistern oder Beschäftigten des Justizvollzugs. In Baden-Württemberg verzeichnete das Ministerium 2023 landesweit 126 Beleidigungen, Bedrohungen oder Angriffe gegen Justizvertreter. In Niedersachsen hat das Oberlandesgericht Celle für seinen Gerichtsbezirk 81 Vorkommnisse im Jahr 2023 verzeichnet, überwiegend Beleidigungen, seltener Bedrohungen, in Einzelfällen tätliche Angriffe. Vielfach sind es Menschen aus der Reichsbürgerszene, aggressive Staatsgegner oder Coronaleugner, die in den Gerichten und gegenüber Gerichtsvollziehern bedrohlich auftreten und die Arbeit der Justiz massiv behindern. Nach den Berichten aus der Praxis seien Gerichtsvollzieher „in jüngster Zeit verstärkt zur Zielscheibe von Reichsbürgern geworden“, so das bayerische Justizministerium. Die Repräsentanten des Rechtsstaats werden seither vorsorglich mit Stichschutzjacken, Schutzwesten und Pfefferspray ausgestattet.
Tausende Waffen bei Einlasskontrollen gefunden
Beunruhigend sind auch die Zahlen, die Berlin mitteilt: Demnach sind bei den Einlasskontrollen der Gerichte im vergangenen Jahr 22.824 Waffen und gefährliche Gegenstände gefunden worden. In vielen Fällen handelte es sich um Messer und andere Stichwaffen. Aber auch Pfefferspray, Schlagstöcke, Scheren oder Hämmer zählten zu den sichergestellten Gegenständen. Der Berliner Senat hat darauf reagiert und in den vergangenen Jahren bereits rund 20 Mio. Euro unter anderem für Eingangsschleusen und Gepäckdurchleuchtung in die Hand genommen. Auch andere Bundesländer haben teilweise massiv in die Sicherheit der Gerichte investiert. Zudem haben die Justizverwaltungen Handlungsempfehlungen zum Umgang mit schwierigen Verfahrensbeteiligten und brenzligen Situationen entwickelt, die den Beschäftigten bei der Deeskalation helfen sollen. In Nordrhein-Westfalen will Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) nun erstmals ein umfassendes Lagebild zu Übergriffen auf Justizvertreter erstellen. Er teile die Besorgnis der Berufsverbände und Gewerkschaften, dass der Umgang zunehmend respektloser und auch gewaltbereiter geworden sei. Um das Ausmaß der Übergriffe zu erfassen und eine zielgenaue Prävention zu ermöglichen, will der Minister im Herbst 2024 erstmals ein Lagebild vorlegen, das halbjährlich fortgeschrieben werden soll.
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