Der Deutsche Richterbund hat bundesweit 1286 Juristinnen und Juristen aus 483 Gerichten und Staatsanwaltschaften zum Umsetzungsstand bei der Digitalisierung befragt. Auffällig ist, dass viele Befragte die Leistungsfähigkeit der eingesetzten Systeme und IT mehr oder weniger deutlich kritisieren. So heißt es aus Baden-Württemberg, das neben drei anderen Ländern auf das E-Akten-System EAS setzt, die Software sei insgesamt unzuverlässig und fehleranfällig, unnötig kompliziert und zu langsam. Der Zeitaufwand bei der Arbeit mit der E-Akte sei etwa 20% höher als bei der Papierakte. Ähnliches ist über EAS aus Schleswig-Holstein zu hören. In anderen Auskünften wird beklagt, dass der Umstieg auf die E-Akte zu einem extremen Scanaufwand führe, weil viele Naturalparteien bislang keine elektronische Übermittlungsoption hätten.
Performance-Probleme bremsen Digitalwende
Auch in Brandenburg, das wie fünf weitere Bundesländer auf das E-Akten-System EIP baut, konstatieren einige Anwender "erhebliche Performance-Probleme". Aus Mecklenburg-Vorpommern kommt ebenfalls die Klage, die Leistungsfähigkeit der Technik sei unzureichend. Die Bearbeitungszeiten für die Richterschaft und für die Serviceeinheiten hätten sich seit E-Akten-Einführung deutlich verlängert. In Nordrhein-Westfalen, das wie fünf weitere Länder auf das E-Akten-System E2A setzt, ist ebenfalls Kritik zu hören. Die Anwendung sei regelmäßig überlastet, was die Aktenbearbeitung erschwere. Einige Amtsgerichte berichten von wiederholten Störungen, die die Arbeit vollständig lahmlegten. Nicht zufrieden sind auch manche in Hessen mit E2A. Die eingesetzte Technik erschwere die Rechtsfindung, senke die Entscheidungsqualität und ziehe Verfahren in die Länge, schreibt einer. Ein Sonderfall ist Sachsen- Anhalt, wo die E-Akte auch in der Ziviljustiz noch gar nicht im Einsatz ist. Die Richterschaft kann dort elektronisch eingehende Schriftsätze standardmäßig nicht ins Fachverfahren übernehmen. Während die Anwälte verpflichtet sind, ihre Schriftsätze in elektronischer Form an das Gericht zu senden, muss die Wachtmeisterei sie ausdrucken und in den Geschäftsgang geben. Weiter wird berichtet, dass an den Amtsgerichten praktisch keine Videoverhandlungen möglich sind und an den Landgerichten nur vereinzelt Videokonferenztechnik vorhanden ist. Weitaus positiver als in der "Digitalwüste" Sachsen-Anhalt und besser als in vielen anderen Bundesländern ist das Stimmungsbild in Rheinland-Pfalz. Die Mehrzahl der Umfrage-Teilnehmer äußert sich hier eher zufrieden. Die größten Baustellen seien mittlerweile behoben, die Vorteile der E-Akte überwögen deutlich.
Strafgerichte und Staatsanwaltschaften arbeiten bislang nur vereinzelt mit der E-Akte. Nach den bisherigen Erfahrungen mit dem elektronischen Rechtsverkehr macht sich in der Strafjustiz allerdings große Skepsis breit, ob ein reibungsloser Umstieg auf die E-Akte rechtzeitig bis Anfang 2026 gelingen kann. Die Probleme zeichnen sich den Angaben zufolge sehr klar ab. Wegen zahlreicher Schnittstellen zu Polizeidienststellen, Finanzbehörden, Bezirkskrankenhäusern, anderen Justizbehörden und sonstigen Ämtern sei ein Chaos zumindest in der Anfangsphase zu befürchten. Bislang gebe es keine technische Verknüpfung mit den polizeilichen Systemen. Es sei abzusehen, dass ein Umstieg auf die führende E-Akte nicht ohne erheblichen Personalzuwachs bei Polizei und Justiz gelingen kann. Auch sei die IT-Infrastruktur der Justiz nicht im Ansatz auf die zu erwartenden Datenmengen ausgerichtet.
Vielfach moniert wird in der Umfrage, dass in der Justiz weiterhin IT-Fachleute (in ausreichender Zahl) fehlen, die bei technischen Problemen verlässlich und kurzfristig helfen können. Auch sinnvolle KI-Assistenz ist in der Breite der Justiz noch nicht angekommen, wenngleich es eine große Offenheit dafür gibt. Eines zieht sich wie ein roter Faden durch die Auskünfte: Niemand will zurück zur Papierakte. Die Kritik bezieht sich nicht auf das "ob", sondern auf das "wie" der bisherigen Digitalisierung. Aus Sicht vieler Kolleginnen und Kollegen verläuft sie deutlich zu schleppend. Veraltete, fehleranfällige oder umständliche Softwarelösungen und IT bremsen die tägliche Arbeit vielfach noch aus, Medienbrüche und lange Scanstrecken machen den elektronischen Rechtsverkehr mitunter zur Farce. Die Digitalisierung der Justiz braucht mehr Tempo.
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