NJW: Sie haben gerade ein Buch geschrieben, das Journalistinnen und Journalisten dabei helfen soll, gängige Fehler zu vermeiden. Welche sind die Klassiker?
Bräutigam: Berufung statt Revision, Sicherheitsverwahrung statt Sicherungsverwahrung, jemand wird verklagt statt angeklagt, Besitzer statt Eigentümer, Vorteilsnahme statt Vorteilsannahme oder die Generalbundesanwaltschaft – ich habe gleich am Anfang eine Liste mit 15 Klassikern aufgeschrieben. Aber auch bei der Bildauswahl gibt es typische Fallstricke. Etwa ein Foto vom falschen Senat am Bundesverfassungsgericht. Ich plädiere auch dafür, den Richterhammer nicht als Hintergrundbild für rechtliche Themen zu nehmen.
NJW: Juristinnen und Juristen hadern unabhängig von diesen oft eher begrifflichen Fehlern mit der Qualität von Rechtsberichterstattung. Zu Recht?
Bräutigam: Nach meinem Eindruck hängt das Hadern oft eng mit den Begrifflichkeiten zusammen. Das kann ich manchmal nachvollziehen. Ab und zu finde ich den Ton dabei etwas zu scharf, gerade auf X (vormals Twitter). Man muss sich schon bewusst machen, dass Journalistinnen und Journalisten in der Regel Generalisten sind, die über sehr viele Themen berichten müssen. Das ist der Normalfall in diesem Beruf, und auch nichts Schlimmes. Mit dem Buch möchte ich gerne eine kleine Hilfestellung für den Arbeitsalltag unter hohem Zeitdruck geben, um Fehler zu vermeiden.
NJW: Reden wir über Detailunkenntnisse oder grundsätzliches Nichtwissen?
Bräutigam: Jeder Journalist, jede Journalistin hat einen hohen Anspruch, korrekt zu arbeiten. Wenn man etwas nicht weiß, dann recherchiert man, das ist ganz normales Geschäft. Auch Richterinnen und Richter müssen sich ja oft in fachfremde Themen einarbeiten. Ich komme zum Beispiel manchmal ins Schwimmen, wenn es in Urteilen um naturwissenschaftliche Zusammenhänge oder komplizierte Wirtschaftsfragen geht. Ich hole mir dann Rat in unseren spezialisierten Redaktionen oder spreche mit Expertinnen und Experten. Manchmal sind Kolleginnen und Kollegen nicht sensibel genug dafür, dass beim Berichten über Recht und Justiz viele Fallstricke lauern. Da müssen häufiger die Alarmglocken läuten, nach dem Motto: „Achtung, Fehlergefahr!“
NJW: Haben Gerichtsreporter und Rechtskorrespondentinnen in der Regel eine juristische Qualifikation?
Bräutigam: Bei den regionalen Medien häufig nicht. Dort arbeiten meistens Generalisten. Manche Gerichtsreporterinnen und -reporter vor Ort haben oft über Jahre viel Erfahrung im Gerichtssaal gesammelt und kennen sich gut aus. Einige Regionalzeitungen bekommen Artikel von spezialisierten freien Korrespondenten wie Christian Rath. Bei den großen überregionalen Zeitungen wie SZ oder FAZ, spezialisierten Online-Medien oder den öffentlich-rechtlichen Sendern wie ARD und ZDF gibt es eine größere Zahl von Journalistinnen und Journalisten mit der vollen juristischen Ausbildung. Bei uns in der ARD-Rechtsredaktion des SWR haben 90 Prozent das 2. Staatsexamen. Wir haben neun Stellen für Fernsehen, Radio und Online und sind zuständig für die hohen Gerichte in Karlsruhe, Luxemburg und Straßburg. Bei großen Strafprozessen sind wir immer wieder vor Ort.
NJW: Hat sich die Rechtsberichterstattung in den vergangenen Jahren insgesamt verschlechtert, etwa weil Medien beim Personal sparen müssen?
Bräutigam: Da bin ich natürlich befangen. Und sensibel bei Kritikpunkten, die pauschal mit „Die Medien …“ beginnen. Der eine, die andere ist das ja auch, wenn es um „Die Justiz …“ geht. Ich nehme wahr, dass die Berichterstattung über Recht und Justiz immer kritischer beobachtet wird. Dem müssen sich die Medien stellen. Kostendruck und zu wenig Personal und Zeit sind auf jeden Fall ein Problem. Diese Kombination kann auch zu inhaltlichen Fehlern führen. Ich habe das Privileg, mich nur mit dem Thema Recht beschäftigen zu können. Und trotzdem komme ich manchmal ins Schwitzen, wenn es an dem einen Tag ums Völkerstrafrecht („Putin nach Den Haag?“) geht und am nächsten ums kollektive Arbeitsrecht, also ob man einen Bahnstreik vor Gericht verbieten kann.
NJW: Hat die Berichterstattung quantitativ abgenommen?
Bräutigam: Das ist schwer zu messen. Ich beobachte beim Publikum und bei den Redaktionen jedenfalls weiterhin ein großes Interesse. Vieles verlagert sich auch einfach. Es gibt zwar nicht mehr Fernsehklassiker wie früher „Wie würden Sie entscheiden?“ oder „ARD-Ratgeber Recht“. Dafür hat tagesschau.de großes Interesse daran, dass wir dort ergänzend zu den kurzen Fernseh- oder Radiobeiträgen rechtliche Fragen erklären. Oder wir haben mit SWR3 ein Verbraucherformat „Darf ich das … ?“ aufgelegt, das auf Instagram und der Webseite hunderttausendfach geklickt wird. In der Mediathek erkläre ich Rechtsfragen zum „Tatort“. Dort soll ja nicht immer alles ganz korrekt dargestellt sein … deswegen gibt’s dazu auch ein Kapitel im Buch. Mehr geht immer, und wir müssen kreativ und hartnäckig sein. Ich werbe dafür, dass das Thema Recht einen hohen Stellenwert hat.
NJW: Trägt auch die andere Seite, also die juristischen Institutionen und ihre Pressestellen, ihren Teil dazu bei, dass die Rechtsberichterstattung mitunter nicht optimal ist?
Bräutigam: Ich bin großer Freund einer aktiven Medienarbeit der Justiz. Die hilft auf jeden Fall, Fehler zu verhindern. Aber für korrekte Inhalte dürfen wir Medien die Verantwortung nicht abwälzen.
NJW: Wie ließe sich die Rechtsberichterstattung insgesamt verbessern, auf Seiten der Sender und der Empfänger?
Bräutigam: Auf Seiten der Justiz hilft es auf jeden Fall, wenn in den Pressestellen Richterinnen und Richter sitzen, die geduldig auch auf die x-te Nachfrage Zusammenhänge und Begriffe erklären. Wenn sie die nötige Zeit dafür haben und nach einer wichtigen Entscheidung erreichbar sind. Das Spannungsfeld dahinter ist uns allen bekannt. Zu den „Empfängern“: Das Thema Recht muss in der Journalistenausbildung (zB bei den Volontärinnen und Volontären) eine größere Rolle spielen. Vielleicht kann das Buch dazu einen kleinen Teil beitragen. Wir haben in der ARD-Rechtsredaktion immer zwei Stellen für Hospitantinnen oder für Referendare in der Wahlstation. Das ist für uns sehr bereichernd. Viele von unseren „Auszubildenden“ haben inzwischen als Journalistin oder Journalist Fuß gefasst, ob in unserer Redaktion oder woanders. Und wer in die Justiz gegangen ist oder Anwältin geworden ist, hat zumindest einmal die journalistische Perspektive kennengelernt. In den Redaktionen muss das Bewusstsein noch stärker da sein, dass bei juristischen Themen schnell Fehler passieren können. Einfallstor für Fehler sind übrigens oft Überschriften und „Teaser“ über einem Artikel. Die machen meistens Kollegen in den Zentralen, die aber nicht die Texte geschrieben haben. Mit einer kurzen Rückfrage „Okay so?“ an die Autorin lässt sich da einiges verhindern.
NJW: Ist Ihnen schon mal ein Fehler in der Tagesschau passiert?
Bräutigam: Ja klar. Ich habe mal in meinem Filmbericht über die umstrittene Merkel-Äußerung zur Wahl in Thüringen gesagt: Die Äußerung sei im Rahmen einer Pressekonferenz mit dem „Präsidenten von Afrika“ gefallen. Den es bekanntlich nicht gibt. Es ist mir bis heute schleierhaft, wie es das in die Sendung schaffen konnte. Mir wurde heiß und kalt. Ich musste den Beitrag sofort nochmal neu einsprechen, vorher wurde die Sendung nicht in die Mediathek gestellt. Die Häme war zum Glück einigermaßen erträglich. Nur ein paar „Servicetweets“ zu Südafrika … Beim Thema „Fehlerkultur“ gibt es insgesamt auch bei Journalistinnen und Journalisten sicher noch Luft nach oben.
Der Volljurist Dr. Frank Bräutigam ist seit 2010 Leiter der ARD-Rechtsredaktion des SWR in Karlsruhe. Als ARD-Rechtsexperte berichten er und sein Team unter anderem für die „Tagesschau“, „Tagesthemen“ und „tageschau.de“. Gerade ist von ihm bei Springer VS in der Reihe „Journalistische Praxis“ das Handbuch „Recht richtig formulieren“ erschienen.
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