Urteilsanalyse
Abwägung bei der Zulässigkeit von identifizierender Berichterstattung
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Im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Antragsstellers und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit kommt laut LG Offenburg der Schwere der vorgeworfenen Tat nur im Grundsatz besondere Bedeutung zu. Eine Berichterstattung, insbesondere unter Namensnennung, sei nicht auf Fälle schwerer Kriminalität beschränkt. Die Geringfügigkeit des Tatvorwurfs könne zugleich geeignet sein, die Bedeutung der Persönlichkeitsverletzung zu mindern.

28. Jul 2021

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Jessica Friedrich, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz 

Aus beck-fachdienst Strafrecht 15/2021 vom 22.07.2021

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen. Der Antragsteller (ASt.) war Geschäftsführer eines Freizeitbads in Offenburg. Die Antragsgegnerin (Ag.) verlegt die „B.-Zeitung“. Über den ASt. in seiner Funktion als Geschäftsführer des genannten Freizeitbads wird bereits seit Sep. 2019 regelmäßig unter namentlicher Nennung und Abbildung von Fotos in der B.-Zeitung berichtet. Die StA informierte die Öffentlichkeit darüber, dass die Ermittlungen gegen den Geschäftsführer des Freizeitbads abgeschlossen seien und beim AG – Strafrichter – der Erlass eines Strafbefehls wegen des Vorwurfs der Nötigung gemäß §240 StGB beantragt worden sei. Die Ag. berichtet über das Strafverfahren unter namentlicher Nennung des Ast. sowie Abbildung eines ca. 8 cm x 5 cm großen Fotos von ihm.

Der ASt. forderte die Ag. zunächst vorgerichtlich mit anwaltlichen Schreiben zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf. Er ist der Ansicht, dass es sich bei den zitierten Zeitungsberichten um eine unzulässige Verdachtsberichterstattung handle, da es um keinen gravierenden Vorwurf ginge. Da die Pressemitteilung der StA rechtswidrig sei, hätte sie von der Ag. für ihre Berichterstattung nicht übernommen werden dürfen. Sei die Berichterstattung über den ASt. unzulässig, sei erst recht seine namentliche Nennung samt Foto von ihm unzulässig. Der ASt. beantragt, dass der Ag. untersagt wird, Berichte über das Ermittlungsverfahren und den beantragten Strafbefehl gegen den Ast. zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten und/oder veröffentlichen und/oder verbreiten zu lassen. Die Ag. beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Entscheidung

Das LG entschied, dass die zulässigen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung unbegründet seien.

Der ASt. habe gegen die Ag. keine Unterlassungsansprüche aus § 1004 Abs. 1 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1 GG (hinsichtlich der Bildberichterstattung i.V.m. §§ 22, 23 KUG), da die Ag. die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die streitgegenständliche identifizierende Verdachtsberichtserstattung eingehalten habe.

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer solchen Berichterstattung sei nach st. Rspr. des BGH zunächst das Vorliegen eines Mindestbestands an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprächen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert” verliehen. Auch sei vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich müsse es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt sei.

Ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information spreche und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert” verliehen, liege vor und folge aus der Pressemitteilung der StA zum Abschluss der Ermittlungen gegen den identifizierbaren ASt. sowie zu ihrem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wegen des Verdachts der Nötigung i.S.v. § 240 StGB. So sei in der höchstrichterlichen Rspr. anerkannt, dass den Verlautbarungen amtlicher Stellen ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden dürfe. Vorliegend komme es entgegen der Ansicht des ASt. nicht darauf an, ob die Pressemitteilung der StA in rechtswidriger Weise erfolgt sei. Die Ag. habe diesbezüglich auf die Rechtmäßigkeit des Handelns der StA vertrauen dürfen.

Schließlich handle es sich aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls um einen Vorgang von gravierendem Gewicht, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt sei. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des ASt. und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit komme der Schwere der vorgeworfenen Tat nur im Grundsatz besondere Bedeutung zu. Eine Berichterstattung, insbesondere unter Namensnennung, sei nach st. Rspr. des BGH sowie des BVerfG nicht auf Fälle schwerer Kriminalität beschränkt. Vielmehr könne eine identifizierende Berichterstattung auch unterhalb der Schwelle der Schwerkriminalität zulässig sein. Bei der Abwägung zwischen dem Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht dürfe im Falle der Berichterstattung über ein Strafverfahren die geringe Bedeutung der Straftat nicht allein zur Bemessung des öffentlichen Informationsinteresses berücksichtigt werden. Es sei auch zu beachten, dass die Geringfügigkeit des Tatvorwurfs zugleich geeignet sein könne, die Bedeutung der Persönlichkeitsverletzung zu mindern. Letzteres sei hier anzunehmen. Hinsichtlich des Informationsinteresses der Öffentlichkeit sei zu beachten, dass eine Vielzahl weiterer Presseberichte als Indiz für ein öffentliches Informationsinteresse zu werten sei. Für das Informationsinteresse sprächen daher neben der Stellung des ASt. als Geschäftsführer einer kommunalen Einrichtung, dass der ASt. namentlich und bildlich der breiten Öffentlichkeit als Persönlichkeit einer bereits seit knapp 1,5 Jahre andauernden Berichterstattung um das Offenburger Freizeitbad mit entsprechend regelmäßigen Berichten über ihn in sämtlichen Regionalzeitungen bekannt sei. Weiteres Indiz für das erhebliche öffentliche Interesse seien die Pressemitteilungen der Stadt Offenburg.

Praxishinweis

Das LG Offenburg hatte im Wesentlichen darüber zu entscheiden, ob der berichtete Vorfall von gravierendem Gewicht und damit eine identifizierende Berichterstattung zulässig war. Nach der st. Rspr. ist eine Berichterstattung, die die Identität des Verdächtigten erkennen lässt, nur dann zulässig, wenn sich die Tat bzw. der Tatverdacht aus dem Kreis leichter und mittlerer Kriminalität besonders heraushebt und von erheblicher Bedeutung ist. Insgesamt muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (Weyhe in: Paschke/Berlit/Meyer/Kröner, Hamburger Kommentar Gesamtes Medienrecht, § 6 HbgPrG, 80). Vorliegend wurde dem Betroffenen eine Nötigung gem. § 240 StGB vorgeworfen. Die identifizierenden Berichte stellen eine Gefahr für seine persönliche, soziale und wirtschaftliche Stellung dar. Dennoch bewegt sich die Entscheidung des LG innerhalb der von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäben zur Zulässigkeit einer sog. Verdachtsberichterstattung (BGH NJW 2000, 1036 f.; BGH NJW-RR 2017, 31, 3; BVerfG, Beschl. v. 9.3.2010 - 1 BvR 1897/05).

LG Offenburg, Beschluss vom 22.04.2021 - 2 O 111/21, BeckRS 2021, 17138