Urteilsanalyse
Abtretung des Insolvenzgeldanspruchs
Urteilsanalyse
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Der Generalunternehmer unterliegt wie ein Bürge, der auf die Einrede der der Vorausklage verzichtet hat, einer durch § 14 AEntG begründeten verschuldensunabhängigen, gesamtschuldnerischen Generalunternehmerhaftung für das nach § 14 Satz 2 AEntG festgelegte Nettomindestentgelt und die Sozialkassenbeiträge. Rechtsfolge der Zahlung auf eine Bürgschaftsschuld ist ein gesetzlicher Forderungsübergang.

21. Aug 2023

Rechtsanwalt Joachim Zobel, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 16/2023 vom 17.08.2023

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Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Insolvenzgeld (InsG). Die Klägerin, ein Bauunternehmen, beauftragte als Generalunternehmen ein Subunternehmen für Arbeiten auf einer Baustelle. Für diese waren auf der Baustelle der Klägerin insgesamt 29 Arbeitnehmer (AN) tätig. Bis zum 18.5.2015 stellten die Arbeitnehmer ihre Tätigkeit ein, weil seit April 2015 kein Lohn mehr gezahlt wurde. Auf Anträge vom Mai 2015 wurde über das Vermögen des Subunternehmens das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die IG Bau vertrat zunächst 22 AN ggü. der Klägerin und traf am 3.6.2015 in deren Namen eine Vereinbarung, wonach die Klägerin eine Zahlung an die AN leistete, um ausstehende Löhne zu begleichen. Hierbei wurde aus Bruttobetrag für jeden einzelnen AN eine Nettolohnforderung für den Zeitraum vom April bis zur Einstellung der Arbeiten im Mai ermittelt und diese mit 70% angesetzt.

Ferner einigten sich die Parteien, dass InsG-Ansprüche, die in Folge eines Insolvenzverfahrens den AN zustehen könnten, anteilig und in Höhe der geleisteten Zahlungen an die Klägerin abgetreten werden. Mit anderen AN des Subunternehmers wurden ähnliche Vereinbarungen am 9.6.2015 getroffen. Die Arbeitsverhältnisse der durch die IG Bau vertretenen AN wurden durch Kündigung der Arbeitnehmer zum 30.6.2015 beendet. Auf Anträge der AN bewilligte die Beklagte das InsG. Den Antrag der Klägerin auf InsG vom 12.8.2015 in Höhe ihrer Zahlungen an die früheren AN des Subunternehmens lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dass die Arbeitsentgeltansprüche erfüllt seien, denn die Klägerin habe das den AN zustehende Arbeitsentgelt gezahlt; die Abtretung laufe ins Leere.

Im Klageverfahren gab das SG der Klage statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von InsG an die Kl. Das LSG hob das Urt. des SG auf und wies die Klage ab. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision.

Entscheidung

Die Revision der Klägerin sei begründet. Der Klägerin stehe gem. §§ 165, 170 Abs. 1 SGB III ein Anspruch auf InsG in Höhe der Beträge zu, die sie aufgrund der Vereinbarungen vom 3.6.2015 und 9.6.2015 gezahlt hätte, weil durch die Zahlungen Arbeitsentgeltansprüche auf sie übergegangen seien.

Gem. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III hätten AN Anspruch auf InsG, wenn sie im Inland beschäftigt gewesen seien und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt gehabt hätten.

Die Klägerin sei allerdings nicht selbst AN, sodass ihre Ansprüche auf InsG nur wg. auf sie übergegangener Arbeitsentgeltansprüche gem. § 170 Abs. 1 SGB III oder wg. übergegangener Ansprüche auf InsG unter den Voraussetzungen des § 171 SGB III zustehen könnten. Soweit die AN in den Vereinbarungen mit der Klägerin ausdrücklich Ansprüche auf InsG abgetreten hätten, bevor sie InsG-Anträge gestellt hätten, sei hierdurch kein wirksamer Rechtsübergang von InsG-Ansprüchen erfolgt.

Die rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Abtretung von InsG-Ansprüchen verstoße gegen ein gesetzliches Verbot und sei nach § 134 BGB nichtig.

Gemäß § 171 Satz 1 SGB III könnten InsG-Ansprüche nach Antragstellung ähnlich wie Arbeitseinkommen gepfändet, verpfändet oder übertragen werden. Eine Pfändung des Anspruchs vor diesem Zeitpunkt werde erst mit dem Antrag wirksam (§ 171 Satz 2 SGB III). Im Umkehrschluss folge hieraus, dass vor der Beantragung eine Abtretung als Form der Übertragung nicht erlaubt sei. Ziel dieser Vorschrift sei es, die Akzessorietät von Arbeitsentgeltanspruch und InsG-Anspruch sicherzustellen.

Allerdings seien durch die Zahlungen der Klägerin in Erfüllung der getroffenen Vereinbarungen Arbeitsentgeltansprüche der AN im Wege der cessio legis auf die Klägerin übergegangen (§ 774 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies hätte zur Folge, dass ihr nach § 170 Abs. 1 SGB III auch die sich hieraus ergebenden InsG-Ansprüche zustehen.

Entgegen der Auffassung des LSG seien die Vereinbarungen sowie das Erfüllungsgeschäft nicht dahin auszulegen, dass die Klägerin als Dritte Arbeitsentgeltansprüche der AN ggü. dem Subunternehmen übernehmen und erfüllen wollte. Vielmehr hätte die Klägerin allein im Hinblick auf ihre Haftung als Generalunternehmerin Zahlungspflichten übernommen und diese Pflichten erfüllt. So werde in den Vereinbarungen darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihre Verpflichtungen ggü. dem Subunternehmer erfüllt habe.

Die Vereinbarungen seien auch nicht insgesamt nichtig. Es sei anzunehmen, dass sie bei Kenntnis der Sach- und Rechtslage nach Treu und Glauben auch ohne die nichtige Abtretung künftiger InsG-Ansprüche abgeschlossen worden wären. Dafür spreche schon die in der Vereinbarung enthaltene konjunktivische Formulierung („könnten“), die zeige, dass es den Vertragspartnern ungewiss sei, ob den AN InsG-Ansprüche überhaupt zustehen würden. Im Übrigen lehne sich die Höhe des übernommenen Betrags an die Höhe der Generalunternehmerhaftung, wie sie sich aus § 14 AEntG ergebe, an.

§ 14 AEntG sehe die Haftung des Generalunternehmers wie ein Bürge vor, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet habe. Die Vorschrift begründe eine verschuldensunabhängige, gesamtschuldnerische Generalunternehmerhaftung für das nach § 14 Satz 2 AEntG festgelegte Nettomindestentgelt und die Sozialkassenbeiträge. Rechtsfolge der Zahlung auf eine Bürgschaftsschuld sei ein gesetzlicher Forderungsübergang.

Praxishinweis

Leistet ein Dritter auf Ansprüche der AN auf Arbeitsentgelt, ist maßgeblich auf den Rechtsgrund der Leistung abzustellen.

Soweit ein Dritter in Erfüllung eigener gesetzlicher Verpflichtung Leistungen an die AN erbringt (zB. Generalunternehmerhaftung § 14 AEntG) und auf die Bürgenschuld zahlt, gehen die Ansprüche auf Insolvenzgeld im Rahmen des gesetzlichen Forderungsübergangs (§ 774 Abs. 1 Satz 1 BGB) auf diesen über; § 170 Abs. 1 SGB III ist auch auf Fälle des gesetzlichen Forderungsübergang anzuwenden. Die Generalunternehmerhaftung ist jedoch nicht vorrangig vor der Sicherung über InsG.

Dritte können Ansprüche auf InsG zudem entweder aus auf sie übergegangenen Arbeitsentgeltansprüchen (§ 170 Abs. 1 SGB III) oder aus übergegangenen Ansprüchen auf InsG (§ 171 SBG III) zustehen. Den AN bleibt somit die Möglichkeit, sich durch Abtretung (§§ 398 ff BG) eine unterhaltssichernde Leistung eines Dritten zu verschaffen, wobei die Abtretung auf den pfändbaren Teil des Entgelts beschränkt ist (§ 400 BGB iVm. §§ 850 ff ZPO). Soweit die Abtretung von Entgeltansprüchen ausgeschlossen ist (zB. durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag), muss der Arbeitgeber der Abtretung zustimmen oder diese genehmigen; dies gilt auch für den Fall der Insolvenzgeldvorfinanzierung über eine Bank (§ 170 Abs. 4 SGB III).

Bei wirksamer Verpfändung (§§ 1273 ff. BGB) oder Pfändung (§ 829 ZPO) vor Stellung des Insolvenzgeldantrags erstreckt sich das akzessorische Pfandrecht auf den Anspruch auf InsG. Die Geltendmachung durch den Dritten erfolgt durch den fristgebunden „Drittantrag“ (§ 324 Abs. 3 SGB III). Im Rahmen der Insolvenzgeldvorfinanzierung (§ 170 Abs. 4 SGB III) können über die Insolvenzschuldnerin bei entsprechender Abstimmung mit der Agentur für Arbeit die gepfändeten Entgelte direkt an die Gläubiger geleistet werden.

BSG, Urteil vom 15.05.2023 - B 11 AL 37/21 R (LSG Rheinland-Pfalz), BeckRS 2023, 2574