Was ist bei der Impfpflicht-Debatte schiefgelaufen? Vor allem, dass im Frühjahr 2022 noch zu sehr die Vor-Omikron-Debatten des Herbstes 2021 geführt wurden. Den Befürwortern einer Impfpflicht ist es nicht gelungen, der Problematik einer erst im Herbst 2022 relevant werdenden Impfpflicht, die auf neue Virus-Varianten vorbereitet sein muss, gerecht zu werden. Dabei wäre das ziemlich einfach gewesen. Mit dem österreichischen Covid-19-Impfpflichtgesetz gab es eine hervorragende Vorlage. Aber mit typisch deutscher Arroganz hat das im politischen Berlin niemanden interessiert. Auch lag mit dem ersten Monitoringbericht einer Expertenkommission beim österreichischen Bundeskanzleramt eine medizinisch wie verfassungsrechtlich (auf Deutschland problemlos übertragbare) exzellente Expertise vor. Sie sprach gegen die Einführung einer Impfpflicht (beziehungsweise in Österreich für ihre einstweilige Suspendierung) und hat zugleich klar gemacht: Eine später in Kraft tretende Impfpflicht für die Zeit von Herbst 2022 bis ins Frühjahr 2023 ist machbar und kommt nicht zu spät.
Stattdessen diese deutsche, notorisch faktenferne Gesinnungshuberei: Die einen predigten, zum Teil mit offen zur Schau getragener Panik: "Not kennt kein Gebot." Die anderen machten, genauso überzogen, die Ablehnung der Impfpflicht zum ultimativen Zeichen wirklichen Freiheitssinns. Kaum Zwischentöne, viel folgenlose Nachdenklichkeit, vor allem: lieber recht haben als Probleme lösen. Die Idee der "Impfpflicht auf Vorrat" balancierte Freiheit und Verantwortung mit Sinn für die Dynamik der Pandemie gut aus. Aber sie wurde zunächst so schlechtgeredet, dass sie später als Kompromiss keine Chance mehr hatte.
Sollte es einen weiteren Anlauf zur Impfpflicht geben, müssen sich alle politisch Verantwortlichen vornehmen: Weniger Rechthaberei, mehr Einigkeit. Was würde sonst noch helfen? Ein Gesundheitsminister, der nicht so viel twittert, und ein Bundeskanzler, der führt (vgl. Art. 65 S. 1 GG).