Urteilsanalyse
Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen ist auch bei elektronischen Akten eigenverantwortlich zu prüfen
Urteilsanalyse
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Werden einem Rechtsanwalt die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt, hat er den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich zu prüfen. Dies gilt - so der BGH - unabhängig davon, ob die Handakten des Rechtsanwalts in herkömmlicher Form als Papierakten oder als elektronische Akten geführt werden.

21. Apr 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 08/2022 vom 20.04.2023

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Sachverhalt

In einem Streit um Forderungen aus einem Gewerberaummietverhältnis legte die Klägerin per Anwalt Berufung ein. Die Berufungsbegründung ging verspätet beim Gericht ein, die Klägerin beantragte deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie begründete ihren Antrag damit, dass die Anwältin, die die Akte zunächst bearbeitet hatte, aus der Kanzlei ausgeschieden sei. Ihr neuer Anwalt habe die Kanzleiangestellte anlässlich des Ausscheidens angewiesen, die elektronische geführte Akte einschließlich aller Fristen und Termine auf ihn umzutragen. Beim Umtragen habe die Kanzleiangestellte allerdings die Berufungsbegründungsfrist übersehen, die deshalb in keiner dem Anwalt vorzulegenden Fristenliste aufgetaucht sei. Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung. Dagegen legte die Klägerin Rechtsbeschwerde ein.

Entscheidung: Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung auch bei elektronischen Akten

Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Die Berufung sei wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unzulässig. Ein Verschulden des klägerischen Anwalts an dem Fristversäumnis sei nicht auszuschließen. Nach ständiger BGH-Rechtsprechung müsse ein Anwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. Dies gelte unabhängig davon, ob die Handakten des Rechtsanwalts in herkömmlicher Form als Papierakten oder – wie hier – als elektronische Akten geführt werden. Denn ebenso wie die elektronische Fristenkalenderführung gegenüber dem herkömmlichen Fristenkalender dürfe auch die elektronische Handakte grundsätzlich keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als ihr analoges Pendant.

Dem Anwalt der Klägerin seien die Akten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt worden. Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags verhalte sich jedoch nicht dazu, ob er anlässlich dieser Aktenvorlage die korrekte Notierung der Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich in der (elektronischen) Handakte geprüft habe. Hätte er dies getan, hätte er bemerken und korrigieren müssen, dass die Berufungsbegründungsfrist noch nicht auf ihn umgetragen gewesen sei. Selbiges gelte mit Blick auf die Vorlage der Akte aufgrund der notierten Vorfrist für die Berufungsbegründung.

Eines vorherigen Hinweises an die anwaltlich vertretene Klägerin auf die Mängel habe es nicht bedurft. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Sorgfaltspflichten in Fristensachen stelle, seien bekannt und müssten einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Trügen die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gemachten Angaben diesen Anforderungen nicht Rechnung, deute das nicht auf Unklarheiten oder Lücken des Vortrags hin, die aufzuklären oder zu füllen gewesen wären, sondern erlaube den Schluss darauf, dass den Sorgfaltspflichten nicht Genüge getan worden sei.

Praxishinweis

Zwei Aspekte der berichteten Entscheidung verdienen besondere Beachtung: Dies sind zum einen die hohen Anforderungen, die der BGH an den Inhalt von Wiedereinsetzungsgesuchen stellt. Zum anderen ist es die Aussage, dass bei einer elektronisch geführten Akte keine geringeren Sorgfaltspflichten in Fristensachen für den Anwalt bestehen als bei einer Papierakte.

BGH, Beschluss vom 01.03.2023 - XII ZB 483/21 (OLG Nürnberg), BeckRS 2023, 5970