Urteilsanalyse
Abgrenzung von Diebstahl und Sachbetrug an der Selbstbedienungskasse
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Wer an einer Selbstbedienungskasse einen Teil der im Einkaufswagen liegenden Ware nicht einscannt und den Kassenbereich verlässt, ohne sämtliche Waren gescannt und bezahlt zu haben, begeht nach einem Beschluss des LG Kaiserslautern keinen Betrug, sondern einen (versuchten) Diebstahl.

27. Sep 2021

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Dr. Ruth Anthea Kienzerle, Ignor & Partner GbR, Frankfurt a.M. 

Aus beck-fachdienst Strafrecht 19/2021 vom 23.09.2021

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Sachverhalt

Die StA warf A vor, in einem Discounter Waren im Wert von 57,32 EUR entwendet zu haben, indem sie die Waren in den Einkaufswagen gelegt und – entsprechend der zuvor gefassten Absicht, einen Teil der Ware nicht zu bezahlen – den Kassenbereich passiert haben soll, ohne die Ware an der Selbstbedienungskasse vollständig zu scannen. Bevor A den Supermarkt verlassen konnte, sei sie vom Ladendetektiv, dem Zeugen Z, gestellt worden. Die StA beantragte den Erlass eines Strafbefehls wegen versuchten Diebstahls. Das AG lehnte das ab und begründete seinen Beschluss damit, es handele sich um einen Betrug, nicht um Diebstahl. Gegen den Beschluss wendete sich die StA mit der sofortigen Beschwerde und trug vor, entgegen der Auffassung des AG handele es sich nicht um einen Betrug, da es an einer Täuschungshandlung, an einem Getäuschten, einem Irrtum und einer Vermögensverfügung fehle.

Entscheidung

Das LG hob den Beschluss auf die sofortige Beschwerde hin auf und verwies die Sache zur neuen Entscheidung an das AG zurück.

Nach zutreffender Auffassung sei der dem Strafbefehl zugrunde gelegte Sachverhalt als versuchter Diebstahl zu werten. Hinreichender Tatverdacht einer versuchten Wegnahme liege vor, da A ohne das Einverständnis des früheren Gewahrsamsinhabers (der Geschäftsführung), ohne die Ware vollständig zu scannen den Supermarkt habe verlassen wollen. Zwar sei mit dem Aufstellen von Selbstbedienungskassen ein generelles Einverständnis in den Gewahrsamsübergang erklärt worden, zumal das Kassenbereichspersonal nur zur technischen Unterstützung bei Schwierigkeiten eingesetzt sei und gerade nicht den einzelnen Kaufvorgang überwache. Unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und der berechtigten Geschäftsinteressen des Verkäufers sei aber zu unterstellen, dass das Einverständnis nur unter der Bedingung erteilt sei, dass die Selbstbedienungskasse ordnungsgemäß bedient werde. Dazu gehöre unzweifelhaft das korrekte Einscannen und Bezahlen der tatsächlich zur Selbstbedienungskasse mitgebrachten Ware. Da A einen Teil der Ware überhaupt nicht eingescannt habe, seien die Bedingungen für ein Einverständnis in den Gewahrsamswechsel nicht gegeben gewesen. A habe ferner die Kassenzone verlassen, sei aber vor dem Verlassen des Supermarkts von Z aufgehalten worden, wobei sich die Gegenstände weiterhin im Einkaufswagen befunden hätten. Es sei folglich noch kein neuer Gewahrsam durch A begründet worden und von einem Versuch auszugehen gewesen. Eine Täuschungshandlung sei im vorliegenden Fall schon mangels Getäuschtem nicht ersichtlich, ebenso wenig eine Tathandlung nach § 263a StGB.

Praxishinweis

Die Abgrenzung von Diebstahl und Sachbetrug im Selbstbedienungsladen ist seit langem ein Klassiker der strafrechtlichen Ausbildung und Rechtsprechung. Neuerdings stehen dabei Sachverhalte mit Selbstbedienungskassen im Vordergrund. Die vorliegende Entscheidung befindet sich insoweit auf einer Linie mit der wegweisenden Entscheidung des OLG Hamms (BeckRS 2013, 16642). Die Ware (bzw. ein Teil davon) war für A fremd, da die Übereignung unter der rechtlichen Bedingung des ordnungsgemäßen Einscannens und Bezahlens der Ware stand, die hier zweifellos nicht erfüllt war (s. Jäger, JA 2014, 155; Jahn, JuS 2018, 179, 180). Entscheidend für die Annahme einer Wegnahme war daher (ebenso wie bei OLG Hamm, a.a.O.), ob das ordnungsgemäße Einscannen der (gesamten) mitgebrachten Waren eine äußerlich relevante Bedingung für den Gewahrsamsübergang war, bei deren Nichtvorliegen der Bruch fremden Gewahrsams angenommen werden kann. Das ist im Ergebnis zu bejahen. Wenig überzeugend und unnötig kompliziert ist aber, dass das LG übereinstimmend mit dem OLG Hamm annimmt, es liege ein generelles Einverständnis mit dem Gewahrsamsübergang vor, wenngleich dieses unter einer Bedingung stünde. Überzeugender ist es, gerade nicht von einem generellen Einverständnis, sondern einem Einverständnis mit dem Gewahrsamsübergang (nur) unter der Bedingung der äußerlich ordnungsgemäßen Bedienung der Selbstbedienungskasse durch die Kunden anzunehmen (so auch Jäger, JA 2014, 155). Nicht zuletzt ist genau das das Geschäftsmodell bei Selbstbedienungskassen, die andernfalls keinen Nutzen hätten.

Hinreichender Tatverdacht eines (versuchten) Diebstahls setzt indes noch mehr voraus, namentlich den Nachweis von Vorsatz. Ob vorliegend die Feststellungen die Annahme von Vorsatz tragen, haben AG und Verteidigung sorgfältig zu prüfen. Dabei dürfte zu berücksichtigen sein, dass – anders als bei dem vom OLG Hamm zu entscheidenden Fall – hier keine Manipulationshandlung ersichtlich ist, sondern ein Teil der Ware ordnungsgemäß bezahlt, ein anderer Teil hingegen überhaupt nicht gescannt wurde. Die Annahme eines Diebstahlvorsatzes bedarf dann konkreter Feststellungen zum Vorstellungsbild, da andernfalls kaum auszuschließen sein dürfte, dass der betreffende Teil der (möglicherweise unübersichtlichen) Waren im Einkaufswagen in der Verkaufshektik übersehen oder wegen Unsicherheiten im Umgang mit Selbstbedienungskassen nur versehentlich nicht gescannt wurde.

LG Kaiserslautern, Beschluss vom 26.08.2021 - 5 Qs 68/21 (AG Kaiserslautern), BeckRS 2021, 24059