Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Dirk Pehl, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH
Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 14/2021 vom 08.07.2021
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Sachverhalt
Der weitere Beteiligte wurde mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 13.2.2008 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin bestellt. Zuvor war er als vorläufiger Insolvenzverwalter tätig. Für diese Tätigkeit wurde eine Vergütung beantragt und antragsgemäß festgesetzt. Am 25.9.2018 beantragte der weitere Beteiligte die Vergütung für seine Tätigkeit als Insolvenzverwalter auf rd. 160.000 EUR festzusetzen. Er beantragte Zuschlage iHv 150 % der Regelvergütung festzusetzen.
Das Insolvenzgericht setzte mit Beschluss vom 15.2.2019 die Vergütung unter Einbeziehung von Zuschlägen iHv 100 % der Regelvergütung fest. Den darüber hinausgehenden Vergütungsantrag lehnte das Insolvenzgericht ab.
Die eingelegte sofortige Beschwerde wurde zurückgewiesen. Mit der zulässigen Rechtsbeschwerde verfolgte der weitere Beteiligte sein Begehren weiter.
Entscheidung
Die Rechtsbeschwerde wurde zurückgewiesen.
Zunächst stellt der BGH klar, dass die Bemessung von Zu- und Abschlägen grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters sei. Im Rahmen der Rechtsbeschwerdeinstanz könne nur geprüft werden, ob die Gefahr der Verschiebung von Maßstäben bestehe. Unter Hinweis auf § 63 Abs. 1 Satz 3 InsO und § 3 InsVV sei nach Auffassung des BGHs maßgebend, ob die Bearbeitung den Insolvenzverwalter stärker oder schwächer als in entsprechenden Insolvenzverfahren allgemein üblich in Anspruch genommen habe. Insoweit gehe es um den real gestiegenen oder gefallenen Arbeitsaufwand. Der BGH stellte insoweit klar, dass das Insolvenzgericht bei der Festsetzung der Vergütung die in Betracht kommenden Tatbestände im Einzelnen zu überprüfen und zu beurteilen habe. Dabei genüge es, wenn der Tatrichter die möglichen Zu- und Abschlagstatbestände dem Grunde nach prüfe. Im Anschluss daran sei der Gesamtzuschlag oder Gesamtabschlag in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung von Überschneidungen und einer auf das Ganze bezogenen Angemessenheitsbetrachtung zu bestimmen (BGH WM 2019, 548 Rn. 14).
Sodann stellte der BGH fest, dass die vorliegende Bemessung eines Gesamtzuschlags zur Regelvergütung iHv 100 % keine Maßstabverschiebung zum Nachteil des Rechtsbeschwerdeführers aufzeige. Insbesondere sei nicht zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht bei der Bemessung des Zuschlags im Einzelnen auch die sich in der höheren Berechnungsgrundlage für die Regelvergütung niederschlagende Größe des Insolvenzverfahrens berücksichtigt habe. Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung stellte der BGH klar, dass Zuschläge für einen quantitativ höheren Aufwand die Darlegung voraussetze, dass der tatsächlich erforderliche Aufwand erheblich über dem bei vergleichbaren Massen üblichen gelegen habe (BGH ZIP 2017, 2063 Rn. 24). Damit werde insbesondere bestätigt, dass das Beschwerdegericht gemessen an der Anzahl der regelmäßig bei vergleichbar großen Insolvenzverfahren einzuziehenden Forderungen eines Schuldners bei im vorliegenden Fall 11 tatsächlich betroffenen Debitoren einen Zuschlag für ein „komplexes Debitorenmanagement“ abgelehnt habe. Ein Zuschlag könne insoweit nur dann in Betracht kommen, wenn der quantitative oder Qualitative Arbeitsaufwand des Insolvenzverwalters wegen Vorliegens besonderer Umstände signifikant höher ausfalle, als in entsprechenden Insolvenzverfahren allgemein üblich (BGH ZInsO 2017, 1694 Rn. 7).
Ferner bestätigte der BGH, dass wegen einer außergewöhnlich hohen Gläubigeranzahl ein Zuschlag zu gewähren sein könne. Einen festen Grenzwert gebe es jedoch nicht. Entscheidend sei auch hier, ob die Bearbeitung den Insolvenzverwalter stärker als in entsprechenden Insolvenzverfahren üblich in Anspruch genommen habe.
Letztlich bestätigte der BGH die Ausführungen des Beschwerdegerichts, wonach zu berücksichtigen sei, dass der weitere Beteiligte bereits zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden sei und als solcher eigenen Angaben zufolge weitreichende Tätigkeiten vorgenommen habe. Insoweit verwies der BHG auf § 3 Abs. 2a InsVV, nachdem ein Zurückbleiben hinter dem Regelsatz gerechtfertigt sein könne, wenn ein vorläufiger Insolvenzverwalter im Verfahren tätig gewesen sei. Dieser Vorschrift liege die Annahme zugrunde, dass die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters dem Insolvenzverwalter erhebliche Arbeiten ersparen könne (BGH ZIP 2006, 1204 Rn. 22, 25).
Praxishinweis
Der BGH nutzt die vorliegende Entscheidung, um grundsätzliche Ausführungen zum pauschalisierten Vergütungssystem in der insolvenzrechtlichen Vergütungsordnung zu machen. Er stellt klar, dass der Berücksichtigung der Höhe der Berechnungsgrundlage bei der Bemessung der Zuschläge im Einzelfall der Grundsatz der Querfinanzierung nicht entgegensteht. Dieser enthalte nach Auffassung des BGHs die Grundannahme, dass ein Verwalter aufgrund des pauschalierten Vergütungssystems der insolvenzrechtlichen Vergütungsordnung für die Abwicklung eines Verfahrens eine Vergütung erhält, die dem tatsächlichen Aufwand im konkreten Verfahren nahekomme, ihn in anderen Verfahren deutlich überschreiten und in wiederum anderen Verfahren auch deutlich unterschreiten kann. Der BGH stellt insoweit ausdrücklich klar, dass die in § 3 InsVV vorgesehenen Möglichkeiten, von den Regelsätzen des § 2 InsVV abzuweichen, sich demgegenüber auf besondere tätigkeitsbezogene Umstände des konkreten Verfahrens beziehen. Sie sollen insbesondere nicht dazu dienen, dem Verwalter in massereichen Verfahren zusätzlich zu der in § 2 InsVV vorgesehenen höheren Vergütung weitere Zuschläge zu gewähren, die nicht durch einen besonderen zusätzlichen Aufwand veranlasst sind.
BGH, Beschluss vom 29.04.2021 - IX ZB 58/19 (LG Münster), BeckRS 2021, 13212