Ausbildung & Karriere

Was sich alles ändern sollte
Ausbildung & Karriere
KI © NTGUILTY/adobe

Die Frage nach der Reformbedürftigkeit des Jurastudiums und seiner Prüfungen wird wieder öfter erörtert. Indes ist die Angelegenheit komplex, die Verfahren sind träge, der Leidensdruck außerhalb der Blase ist übersichtlich. Gut möglich also, dass die Zeit bis zum Inkrafttreten nennenswerter Änderungen die kumulierte Bauzeit von Berliner Großflughafen und Stuttgarter Tiefbahnhof ein wenig übersteigt. Erste Lösungen könnten in Details liegen.

28. Mai 2025

Bei einem – theoretisch möglichen – Reformprozess wäre die eine oder andere Frage im Grundsätzlichen zu bedenken und zu konsentieren: Was soll ein guter Jurist am Ende des Studiums wissen und können? Braucht es dafür einen Universaljuristen? Wie kann man das prüfen? Nicht nur irgendwie, sondern so, dass das Prüfungsergebnis eine möglichst belastbare Aussage darüber erlaubt, ob der Geprüfte in einzelnen oder vielen juristischen Berufsfeldern erfolgreich wird arbeiten können? Was geschähe, unterwürfe man die derzeitige Ausbildung und Prüfung einem Qualitätssicherungsverfahren, das der jenseits der Staatsexamensstudiengänge längst flächig eingeführten (Re-)Akkreditierung gleichkäme? Können wir das riskieren?

Man kann sich aber auch Änderungen in kleinerem Maßstabe vorstellen. Betrachten wir etwa die Formate, in denen sich seit Jahrzehnten die Prüfungen vollziehen, so fällt auf: Es sind ganz wenige. Wir lassen fünfstündige Klausuren schreiben und veranstalten mündliche Gruppenprüfungen. Eine mehrwöchige Hausarbeit ist – aufwandsoptimierend – seit Jahren abgeschafft. Als Abschlussarbeit für den Schwerpunktbereich ist sie nur noch an jenen Universitäten verpflichtend, die das in ihren Prüfungsordnungen so vorgesehen haben. Das muss als Ausweis der Wissenschaftlichkeit des Studiums genügen. Der staatliche Teil verlangt keine vertiefte (gegebenenfalls sogar kritische, inhaltlich durchdachte) Auseinandersetzung mit Rechtsproblemen mehr. Bis Gesetzeskommentare in der Ersten Juristischen Prüfung zugelassen sein werden, geht es also überwiegend um den Normtext und um Wissen, das man auswendig gelernt mit sich führt. Nicht schlecht, aber vielleicht auch nicht eben umfassend aussagekräftig. Gelegentlich treten prozessuale Zusatzfragen und Klausuren mit Gestaltungsperspektive hinzu. Immerhin.

In der mündlichen Prüfung ändert sich daran wenig. Gegenstand der Aufgaben sind hauptsächlich reale oder hypothetische Einzelfallkonflikte, die in Gestalt von Reihum-Rechtsgutachten zu bearbeiten sind. Erneut: Nicht schlecht, aber vielleicht auch nicht eben umfassend aussagekräftig. Ein zweites Beispiel: Jede Prüfungsleistung ist eine Einzelleistung. Gruppenarbeiten sind nicht vorgesehen. In der mündlichen Prüfung können sich die Teilnehmer Bälle zuspielen, na gut. Aber echte Gruppenarbeiten kommen nicht vor. Auch im Studium nicht. Die dort erbrachten Leistungen zählen sowieso im Examen nichts; sie können nicht einmal optional eingebracht werden. Bilden solche Formate die – zugegeben: sehr weitgespannten – juristischen Tätigkeiten ab? Oder auch nur die Fähigkeiten, die dafür erforderlich sind?

Annäherung an die Berufspraxis

Letztes Beispiel: Alle Prüfungsleistungen zielen auf eine erfolgreiche Kommunikation mit sachkundigen Kollegen, die in der Prüfungssituation meist über ein überlegenes Wissen verfügen. Ob ein Kandidat auch mit Nichtjuristen über Rechtsfragen sinnvoll sprechen kann, mag für fast jeden späteren Beruf wichtig sein –in Ausbildung und Prüfung spielt es keine Rolle. Und was nicht geprüft wird, gerät beim Lernen an den Rand. Bestenfalls. Meist liegt es jenseits des Rands. Noch gar nicht angesprochen sind damit Fragen wie: Wären Open-Book-Prüfungen sinnvoll? Was würde sich ändern, wenn in der Klausur derselbe freie Zugriff auf das Internet, die Fachdatenbanken, allgemeine (oder in naher Zukunft: spezifisch juristische) Großsprachmodelle möglich oder sogar willkommen wäre wie in der beruflichen Praxis?

Man muss also noch nicht einmal die vielleicht vor uns liegenden Änderungen des juristischen Arbeitens etwa durch KI in den Blick nehmen, um die Frage nach aussagekräftigen Prüfungsformaten aufzuwerfen. Könnte man aber. Ebenso wie man die immer lauter werdende Klage der Kandidaten ernstnehmen könnte, dass das Konzept des Examens sehr viel unnötigen Stress verursache. Und wer gar keine Idee hat, wie eine sinnvolle Prüfung aussehen müsste, kann ja auch Leute fragen, die sich damit auskennen. 

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Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt an der Frankfurt University of Applied Sciences.