Ausbildung & Karriere
Zweitkorrektoren unter Einfluss
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Dass die Zweitkorrektoren von Klausuren im Ersten Staatsexamen das Votum des Erstgutachters zu sehen bekommen, steht schon länger in der Kritik. Nun hat die Referendariatskommission – angesiedelt beim Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften (BRF) – diese Vorgehensweise auch beim Zweiten Examen aufs Korn genommen.

21. Jan 2025

„Die Bewertung juristischer Klausuren ist anspruchsvoll – es geht nicht nur um ‚richtig‘ oder ‚falsch‘“, heißt es in einer Stellungnahme. Das Spektrum vertretbarer Lösungen könne eine objektive Beurteilung erschweren. „Genau deshalb sind zwei unabhängig voneinander durchgeführte Korrekturen so wichtig: Sie stellen sicher, dass die Bewertung fair, neutral und möglichst frei von Vorurteilen oder individuellen Präferenzen der Korrektorinnen und Korrektoren erfolgt.“ Aktuell erfolge die Zweitkorrektur jedoch häufig mit Kenntnis der Erstbewertung: „Dieser sogenannte Ankereffekt setzt einen unbewussten Bezugsrahmen, der das Urteil beeinflussen kann.“ Die Erst- und Zweitkorrektur würden grundsätzlich gleich vergütet, schreibt die Referendarslobby weiter. Daher hätten Prüflinge auch Anspruch auf zwei wirklich unabhängige, gleichwertige Korrekturen, die bei stark abweichenden Ergebnissen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden könnten. Das Fazit: „Nur eine verdeckte Zweitkorrektur gewährleistet eine faire und vergleichbare Bewertung – ohne unbewusste Anpassung an das Ersturteil.“

Eine dringende Warnung

Auf LinkedIn hat dies eine rege Diskussion ausgelöst. „Bitte erlauben Sie mir, nur gut gemeint, in diesem Zusammenhang eine dringende Warnung“, schrieb dort Bernd J. Hartmann, Juraprofessor an der Universität Regensburg. Er stößt sich an dem Argument, das auf das Entgelt der Korrektoren abzielt. In Bayern habe das Justizministerium dieses gerade erst erhöht: In der Ersten Staatsprüfung würden Erst- und Zweitkorrektur nun mit jeweils 13,84 EUR entlohnt. „Stellen Sie sich vor diesem Hintergrund bitte eine Prüferin oder einen Prüfer vor, der die Vergütung zum Maßstab für ihren oder seinen Aufwand nimmt“, mahnt Hartmann: „Wie viel Zeit darf eine Prüfung dann ‚kosten‘?“ Und fragt, welche verheerenden Folgen eine solche Herangehensweise erst andernorts zeitigen würde. „Das Land Niedersachsen, für das ich tätig war, honoriert Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer für Erst- und Zweitkorrekturen mit exakt 0,00 EUR.“ Der Rechtslehrer aus der Oberpfalz schließt mit dem Appell: „Bitte glauben Sie mir: Wir alle wünschen uns Prüferinnen und Prüfer, die während der Korrektur nicht an die Vergütung denken!“

Der Notarassessor Martin Konstantin Thelen schließt sich dem Anliegen der Referendarskommission hingegen uneingeschränkt an. Der Ankereffekt sei mittlerweile sehr gut erforscht, kommentiert Thelen: „Daher ist diese Forderung absolut berechtigt.“ Wenn die verdeckte Zweitkorrektur eingeführt werde, solle die Vergütung der Prüfenden steigen, denn es werde zu mehr Abweichungen zwischen den Benotungen kommen: „Daraus werden ein höherer Abstimmungsbedarf und damit mehr Arbeit resultieren.“

Und wie sehen Betroffene das? Die Rechtsreferendarin Bernadette Gutheil berichtet: „Ich habe kürzlich Einsicht in meine Examenskorrekturen beantragt. In 7/8 Fällen beschränkte sich das Zweitvotum auf: ‚Ich schließe mich dem Erstgutachten an‘.“ Auch wenn die Kenntnis der Erstbewertung mitunter sogar positiv für den Kandidaten ausfallen könne, fühle sich allein das Wissen, wie wenig eigene Arbeit in die Zweitkorrektur gesteckt worden sei, geringschätzend gegenüber der eigenen Klausur an. Durch Randbemerkungen erhalte man hingegen den Eindruck, dass die Arbeit noch einmal gelesen worden sei und man sich zumindest Gedanken gemacht habe. „Wenn diese aber auch komplett fehlen (…), kommt beinahe unweigerlich die Frage auf, ob die Arbeit überhaupt gelesen wurde.“ Gutheil denkt zwar, dass dies dennoch der Fall sei – „ein schales Gefühl bleibt aber leider“. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter Benjamin Hassani hat Ähnliches erlebt. Eine faire Bewertung für ein juristisches Staatsexamen sei das wirklich nicht, findet er; da fühlten sich mindestens fünf bis acht Jahre harter Vorbereitung wertlos an. Und unterstützt die Forderung „zu 110 %“.

Radikaler sieht es Rechtsanwalt Andreas Lindemann: „Es braucht nicht nur eine blinde Zweitkorrektur, sondern auch eine Korrektur einer KI oder eine Drittkorrektur.“ Sein Kollege Jan Spittka berichtet immerhin, bei ihm habe der Zweit- den Erstkorrektor von einer besseren Zensur überzeugt. Axel Strube, Head of Legal und Compliance Officer, denkt auch an die vorangehende Ausbildungsphase: „Gerne bereits schon in der ersten Prüfung;)“, schreibt er kurz und knapp.

Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung.