Ausbildung & Karriere
Mehr Mut zur Ausbildungsreform
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© JOKER/Martina Hengesbach

Die 95. Justizministerkonferenz (JuMiKo) hat bei ihrer Frühjahrstagung im Hinblick auf die juristische Ausbildung festgestellt, „dass grundlegender Reformbedarf nicht besteht“ (NJW-aktuell H. 25/2024, 17). Dies bedarf einer kritischen Analyse.

27. Aug 2024

Ein Beschluss, der auf vielfache Ablehnung stieß – so auch in dieser Rubrik von Luís Tiago Sartingen (NJW-aktuell H. 27/2024, 19). Er hat Vorschläge zur Reform der Entscheidungsstrukturen der JuMiKo unterbreitet. Diese stützte sich auf den Bericht „Juristin und Jurist der Zukunft“ ihres Ausschusses zur Koordinierung der Juristenausbildung. Der kommt zu dem Ergebnis, dass „die derzeitige Juristenausbildung sich bewährt hat und insgesamt gut geeignet ist, den Absolventinnen und Absolventen die wesentlichen Kompetenzen zu vermitteln, die für eine Tätigkeit in den volljuristischen Berufen erforderlich sind und auch künftig erforderlich sein werden“.

Begründet wird dies mit Erkenntnissen aus 90 strukturierten Interviews. Danach werde trotz Kritik in Detailfragen die deutsche Juristenausbildung für attraktiv erachtet. Breites Einvernehmen bestehe an dem Prinzip des Einheitsjuristen. Deshalb solle von einer Erweiterung der volljuristischen Ausbildung in Richtung auf weitere Berufsbilder abgesehen werden, so die Ressortchefs. Zu bedenken sei, dass Breite und Tiefe der Ausbildung sowie die Anforderungen zweier anspruchsvoller Staatsprüfungen nicht ohne Auswirkungen auf Belastung und Psyche der Studierenden bzw. Rechtsreferendare und -innen blieben. Eine weitere Herausforderung sei die fortschreitende Digitalisierung. Daher die Empfehlungen: Eine anspruchsvollere Zwischenprüfung im Studium, die Steigerung der psychischen Belastbarkeit und Resilienz der Studierenden, die Sensibilisierung der Lehrenden für psychischen Stress, die Vermittlung von IT- und Fremdsprachenkenntnissen sowie wirtschaftlichem Verständnis.

Wichtige Studie blieb unberücksichtigt

Es verwundert, dass sich Bericht und Empfehlungen ausschließlich auf die selbst durchgeführten Interviews stützen. Denn seit 2023 liegen die Ergebnisse der wohl umfangreichsten Studie zur Reform der juristischen Ausbildung vor. In der vom Bündnis „iur.reform“ durchgeführten Untersuchung stimmten 11.842 Personen über 43 Thesen ab, die auf der Auswertung von über 200 Beiträgen in Fachzeitschriften basierten. Ein aus den Stellungnahmen von DRB, BRAK, DAV und anderen entwickeltes Sofortprogramm beinhaltet: Zulassung anderer Prüfungs- und Unterrichtsformen neben Klausur/Vorlesung, unabhängige Bewertung, neue Inhalte nur bei Streichung von Bestehenden, regelmäßiges Monitoring, Hilfsmittel im Examen und Betreuungsschlüssel (NJW-aktuell H. 23/2023, 19).

Der Koordinierungsausschuss hätte hierauf und auch auf das Ende 2023 veröffentlichte „Hamburger Protokoll“ zur Reform der ersten (juristischen) Prüfung (NJW-aktuell H. 11/2024, 19) eingehen sowie seine Interview-Erkenntnisse kritisch diskutieren müssen. Ferner erscheint es nicht plausibel, die psychische Resilienz der Studierenden zu erhöhen, zumal unklar bleibt, wie dies erreicht werden soll, statt zu einer Humanisierung der Studienbedingungen beizutragen. Auch ist es im Hinblick auf die Verwundbarkeit unserer Demokratie und zur Umsetzung von § 5a II DRiG dringend geboten, die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht und dem der SED-Diktatur als alle Rechtsmaterien betreffendes didaktisches Prinzip aufzunehmen. Es ist das Bewusstsein dafür zu schaffen, was bei der Anwendung von juristischen Methoden stets zu reflektieren ist: die Rückkopplung an die Menschenwürde, die als Lehre aus dem NS-Unrecht in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Nur wenn dies geschieht, bringt die juristische Ausbildung Personen hervor, denen die Rechtsprechung gem. Art. 92 S. 1, 1. HS GG anvertraut werden darf.

Der Reformbedarf ist unabweisbar. Ein erster Schritt könnte darin bestehen, den Koordinierungsausschuss breiter aufzustellen und Studierende aufzunehmen. Sartingen kritisiert nicht ohne Grund die entgegenstehenden Entscheidungsstrukturen innerhalb der JuMiKo. Dabei ist zweierlei zu beachten: Zum einen verfügt diese bislang über keine klassische Geschäftsordnung. Zudem ist bei derartigen Konferenzen ein qualifiziertes Mehrheitsprinzip üblich, wobei die Nutzung der Mehrheitsregel die absolute Ausnahme darstellt. Denn die Länderinteressen sollen jenseits des Parteienwettbewerbs im Konsens verhandelt werden. 

Dr. Nora Düwell leitet das Dienstrechtsreferat im Thüringer Justizministerium. Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke) ist Chef der Thüringer Staatskanzlei und Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. Der Beitrag gibt ihre persönliche Meinung wieder.

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