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Handwerk und Kunst juristischer Falllösung
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Ausdrücklich bekennt sich das "Hamburger Protokoll" – ein breit gefächertes Bündnis für eine Reform des Jurastudiums – vom 1.12.​2023 zu einer Reduktion der Pflichtstoffkataloge. Es hält es für geboten, in der Ausbildung die Grundlagen- und Methodenkompetenz zu stärken (NJW-aktuell H. 11/2024, 19). Beginnt damit ein Paradigmenwechsel?

9. Apr 2024

Seit geraumer Zeit wird die stärkere Betonung der juristischen Methode in der Juristenausbildung gefordert – nachdrücklich unter anderem im sogenannten Ladenburger Manifest von 1997 sowie 2021 vom BVerfG-Präsidenten Stephan Harbarth in seiner Festansprache zum 100. Juristen-Fakultätentag: Entscheidend sei das methodisch sichere Können, das sich an immer neuen Fragen zu bewähren weiß. Das praktische Resultat dieser Aufrufe ist vergleichsweise überschaubar. Was steht entgegen? Könnte es sein, dass über die Art und Weise, wie ein solches Können vermittelt wird, noch weitergehend reflektiert werden sollte? Dafür sprechen gewichtige Gründe. Schon der sogenannte Syllogismus, immerhin der fundamentale Modus des regelgeleiteten Schließens, ist zu wenigen Studierenden geläufig. Die Eingangshypothese einer Falllösung wird in der Ausbildung weithin als Obersatz bezeichnet, obwohl dieser Begriff in der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie der Tradition der Logik einhellig für eine abstrakt-generelle (Rechts-)Regel reserviert ist. Die in der Rechtsprechung selbstverständlichen Termini des Prüfungs- bzw. des Kontrollmaßstabs kommen in Anleitungsbüchern zur juristischen Methode kaum vor. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Das Handwerk

Zur Vermittlung sicheren methodischen Könnens ist daher zu erwägen, fundamental anzusetzen und die juristische Falllösung zunächst als "Handwerk" zu verstehen, wie es Ziffer 5 lit. a) des "Hamburger Protokolls" bereits vorsieht (s. auch Beckemper/Grünberger/Heiser NJW 2024, 1009 – in diesem Heft), aber im Sinne von Handwerk und Kunst juristischer Falllösung zu vollenden. Zur handwerklichen Seite könnte zunächst gehören, sich den vielen Scheinselbstverständlichkeiten zu widmen, auf denen die Falllösung aufbaut, die aber in der Ausbildung meist (nur) vorausgesetzt werden. Beispielsweise der folgenden Frage, die in einem mündlichen Examen Panik ausgelöst hat: Was ist ein Rechtsgutachten? Neben Obersatz und Prüfungsmaßstab bedarf auch der Begriff der Subsumtion vertiefter Terminologiearbeit. Ist sie im Sinne einer "Abwägungssubsumtion" auch die Bejahung eines Tatbestandsmerkmals/Tatbestands, wenn es sich um das Ergebnis wertender Abwägung handelt – wie beispielsweise für das Tatbestandsmerkmal „darauf ausgerichtet“ in Art. 21 III GG (BVerfG NJW 2024, 645)? Last but not least: Was ist ein Argument? Ideales Ziel solcher Bemühungen ist ein bundeseinheitlicher, rechtsdidaktischer Begriffskanon der juristischen Methode, der den Studierenden bei Vorbereitung und Niederschrift einer Falllösung echte Orientierung bietet.

Die Kunst

Worin würde nun die Kunst juristischer Falllösung bestehen? Ein Ansatz könnte sein, sich Prinzipien zuzuwenden, von denen juristische Falllösung getragen sein sollte, und deren Verwirklichung zu erforschen. Dies könnten sein: Das Prinzip des Vollkontakts (einer von aufrichtigem Interesse getragenen Aufmerksamkeit) zu: Sachverhalt, Fragestellung, Gesetz und Recht (Art. 20 III GG) sowie den legitimen Erwartungen des Adressaten. Des Weiteren das Prinzip der Evidenz, bestehend in der Aufgabe, den angewandten Prüfungsmaßstab überzeugend auf Gesetz und Recht zurückzuführen sowie, die Passung zwischen Sachverhalt und Prüfungsmaßstab (=Subsumtion) überzeugend darzulegen. Hinzu tritt das Prinzip zweckrationalen Handelns: Die Beantwortung der Fallfrage ist als Ziel zu verstehen; die eingesetzten Mittel müssen den Geboten der Zweckmäßigkeit, der Erforderlichkeit und der Proportionalität entsprechen. Die richtige Schwerpunktsetzung könnte sich als Anwendungsfall dieser Gesichtspunkte erweisen.

Eine juristische Didaktik, die diese Ansätze zu verwirklichen unternimmt, wird an der LMU München und der HU Berlin in "lege-artis-Seminaren" bereits erprobt. Es sollte daher die Methodenkompetenz künftiger Juristen und Juristinnen stärken, wenn diese Ansätze wahrgenommen, diskutiert und durch eine breitere Anwendung auf die Probe gestellt werden. Erst dann, wenn juristische Falllösung primär aus der Perspektive einer begrifflich präzisen, von evidenten Prinzipien getragenen Methode vermittelt wird, wäre der Paradigmenwechsel geglückt. Bis dahin ist es noch ein weiter, aber wirklich lohnender Weg.

 

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Rechtsanwalt Dr. Arnim Rosenbach ist 1. Vorsitzender des lege artis Academy e.V., München.