Anmerkung von
Rechtsanwalt Thomas C. Knierim, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz
Aus beck-fachdienst Strafrecht 11/2020 vom 28.05.2020
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Sachverhalt
Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Nichteinhaltung des Mindestabstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte in zulässiger Weise einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde eingereicht.
Entscheidung
Das BayObLG hat den Antrag des Betroffenen, gegen das Urteil des AG die Rechtsbeschwerde zuzulassen, als unbegründet verworfen. Die Rechtsbeschwerde dürfe nur zugelassen werden, wenn es geboten sei, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Ein solcher Fall läge hier nicht vor, weshalb der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu verwerfen sei. Damit würde die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen gelten. Entgegen der Rechtsauffassung der Verteidigung sei keine Verfolgungsverjährung eingetreten. Das AG habe zutreffend beurteilt, dass durch Erlass des Bußgeldbescheids am 11.02.2019 und seiner Zustellung an den Verteidiger des Betroffenen am 13.02.2019 gemäß § 33 I S. 1 Nr. 9 OWiG die Verjährung wirksam unterbrochen worden sei. Insbesondere scheitere die Annahme der Unterbrechungswirkung nach § 33 I S. 1 Nr. 9 OWiG nicht etwa daran, dass der Bußgeldbescheid aufgrund der sich in den Akten befindlichen Vollmacht und der dort ausdrücklich aufgenommenen und durch Fettdruck hervorgehobenen Ausnahme u.a. für die „Empfangsvollmacht [...] für [...] Bußgeldbescheide" (konstitutiv) ausgeschlossen und der Bußgeldbescheid deshalb nicht wirksam an die Verteidigung zugestellt worden sei. Diese Ausnahme in der Vollmachtsurkunde sei mit der Vorschrift des § 145a I StPO und der ihr entsprechenden Bestimmung des § 51 III S. 1 1. HS OWiG im Bußgeldverfahren unvereinbar. Die Beschränkung der Vollmacht sei ohne weiteres insoweit unwirksam, als mit ihr (oder auch durch entsprechende Streichungen innerhalb einer an sich unbeschränkten Vollmachtsurkunde) von vorneherein ein vollständiger Entzug oder eine Begrenzung des vom Willen des Betroffenen unabhängigen Zustellungsvollmacht herbeigeführt werden. Die Verteidigungsvollmacht haben einen gesetzlichen Umfang, der sich allein aus der Stellung des Verteidigers – hier als Wahlverteidiger – ergibt, nicht aus der Vollmachtsurkunde. Eine andere Sicht erweise sich mit dem Gesetzeszweck, nämlich der im Interesse der Schaffung von Rechtssicherheit gebotenen Klarheit darüber, wann eine Zustellung an den Verteidiger des Angeklagten oder des Betroffenen gegen diesen wirkt, unvereinbar. Aus alledem folge, dass es auf weitere Erwägungen, etwa zur Frage einer nach den Gesamtumständen auch rechtsgeschäftlich erteilten Zustellungsvollmacht oder einer etwaigen Rechtsmissbräuchlichkeit des Verteidigungsvorbringens zur vermeintlich unwirksamen Zustellung aufgrund bestimmter verfahrensrechtlicher Konstellationen (sog. „Verjährungsfalle") nicht ankomme.
Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass im Zulassungsverfahren ein Verfahrenshindernis nur dann geprüft wird, wenn es nach dem Erlass des Urteils eingetreten ist (§ 80 V OWiG). Allerdings kann es unter Berücksichtigung der Zweckkriterien gem. § 80 I und II OWiG geboten sein, die Rechtsbeschwerde gleichwohl zuzulassen, wenn der eigentliche Zulassungsgrund gerade Rechtsfragen betrifft, die mit einem Verfahrenshindernis im Zusammenhang stehen und dazu ein klärendes Wort zu sprechen. Ein solcher Grund liege aber offensichtlich nicht vor.
Praxishinweis
Die Entscheidung des BayObLG überrascht vielleicht diejenigen, die in der reinen außergerichtlichen Vollmacht keine ausdrückliche Entgegennahme von Zustellungen vorsehen (vgl. bspw. OLG Brandenburg BeckRS 2005, 14667; OLG Hamm NStZ-RR 2004, 121; Burhoff, Hdb. d. Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Rn 4241). Sie steht aber im Einklang mit der Rechtsprechung einiger Obergerichte zur Reichweite der Fiktion gem. § 51 III S. 1 Hs. 1 OWIG (so auch OLG Dresden NStZ-RR 2005, 244; OLG Köln NJW 2004, 3196; OLG Rostock NStZ-RR 2003, 336, KK-OWiG/Lampe, § 51 OWiG Rn. 83). Danach ist es durch Rechtsgeschäft nicht möglich, die zu den Akten gereichte Vollmacht so zu beschränken, dass die Ermächtigungsfiktion zur Entgegennahme von Zustellungen und sonstigen Mitteilungen entfällt. Entgegen dem Eindruck, den der unbefangene Leser aus der Vorschrift des § 51 III S. 1 Hs. 2 OWiG hat, wonach für Ladungen eine besondere Vollmacht erteilt werden muss, fingiert der 1. Halbsatz des § 51 III S. 1 OWiG die Zustellungsvollmacht. Allerdings kann durch die Vorlage einer Urkunde nicht ausgeschlossen werden, dass die Bevollmächtigung unwirksam ist oder widerrufen werden kann (so wohl OLG Düsseldorf DAR 2004, 41; OLG Hamm NZV 2005, 386 vgl. dazu Leipold NJW-Spezial 2004, 282). So kann auch der Wille des Mandanten in Bezug auf die Bevollmächtigung seines Verteidigers nicht ausgeschlossen worden. Daher sollte der Verteidiger sich stets bewusst sein, dass eine zu den Akten gereichte Vollmacht die Zustellungsfiktion auslösen kann.
BayObLG, Beschluss vom 11.02.2020 - 202 ObOWi 38/20, BeckRS 2020, 6468