Urteilsanalyse
Verstoß gegen Hygienevorschriften führt zu Verlust des Honoraranspruchs
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Erbringt eine Vertragszahnärztin Leistungen unter Verwendung in ihrer Praxis aufbereiteten Instrumentariums, das keimarm bzw. steril beim Patienten zur Anwendung gelangen muss, dessen Verwendung ihr aber durch eine Verfügung der nach dem MPG und der MP Betreiberverordnung zuständigen Behörde untersagt worden ist, darf die Kassenzahnärztliche Vereinigung nach einem Urteil des SG Schwerin vom 19.02.2020 die Honoraranforderungen richtigstellen und ihrer Entscheidung die Entscheidung der zuständigen Behörde zugrunde legen.

27. Mai 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 10/2020 vom 22.05.2020

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Sachverhalt

Umstritten ist die Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Abrechnung für Leistungen des Zahnersatzes im Monat März 2018. Die Klägerin ist als Vertragszahnärztin niedergelassen gewesen. Sie hatte ihren Praxissitz im Jahre 2017 verlegt. Nach einer Überprüfung unter anderem der hygienischen Aufbereitung des zahnärztlichen Instrumentariums in den neuen Praxisräumen der Klägerin verfügte das Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern (LAGUS) unter dem 28.02.2018, der Klägerin werde für das in ihrer Praxis aufbereitete Instrumentarium, welches keimarm oder steril zur Anwendung kommen muss, die Anwendung am Patienten so lange untersagt, bis die personellen, räumlichen, technischen und/oder organisatorischen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Aufbereitung der Medizingeräte gegeben seien. Dieser Bescheid wurde für sofort vollziehbar erklärt. Ab dem 28.03.2018 hob das zuständige Amt den Sofortvollzug aufgrund von „teilweise bereits umgesetzter Korrekturmaßnahmen“ auf. Im Übrigen sind die Bescheide des Landesamts bestandskräftig geworden.

Durch angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid versagte die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung einen Honoraranspruch der Klägerin für solche Leistungen, die sie in der Zeit vom 05.03.2018 bis 27.03.2018 an Versicherten erbracht hatte und die ein steriles Instrumentarium voraussetzten. Dagegen richtet sich die Klage der Klägerin. Sie habe stets mit ordnungsgemäß desinfiziertem Material gearbeitet. Die in der Verfügung des LAGUS aufgeführten Maßnahmen habe sie rechtzeitig eingeleitet. Die vom LAGUS aufgelisteten Mängel hätten nicht den Tatsachen entsprochen. Der Bescheid des LAGUS habe sich, nachdem sie jedenfalls sämtlichen Anforderungen nachgekommen sei, erledigt. Mithin könne ihr nicht länger untersagt werden, zahnmedizinische Leistungen zu erbringen, die unter Verwendung ordnungsgemäß aufbereiteter Medizinprodukte zu erbringen seien. Im Übrigen greife die Beklagte in ihr Grundrecht auf Berufsfreiheit ein.

Entscheidung

Das SG weist die Klage ab. Nach § 106d SGB V hatte die Beklagte die Rechtmäßigkeit und Plausibilität der Abrechnung zu prüfen. Diese Prüfung betrifft nicht nur rechnerische oder gebührenordnungsmäßige Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt/Vertragszahnarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat. Sachlich rechnerisch richtig zu stellen sind auch Abrechnungen fachfremder Leistungen oder qualitativ mangelhafter Leistungen oder Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten – einerlei, ob die Leistungen im Übrigen notwendig und fachlich korrekt erbracht wurden. Die ärztlichen Pflichten, die bereits als generelle berufsrechtliche Pflichten den speziellen Erfordernissen vertragsärztlicher Tätigkeit vorausgehen, gehören auch zugleich zum Bestandteil des vertragsärztlichen Pflichtenkatalogs (so BSG, BeckRS 2018, 29630).

In diesem Sinne hat die Klägerin gegen Vorgaben des Medizinproduktegesetzes verstoßen und bei ihrer Praxisorganisation keine Gewähr für eine gefahrlose Anwendung des zahnmedizinischen Instrumentariums geboten. Die Beklagte war dementsprechend zur Richtigstellung der Honoraranforderung berechtigt. Vom Vertragszahnarzt sind alle Sicherheitsvorschriften zugunsten der Patienten penibel zu beachten. Das MPG regelt den Verkehr mit Medizinprodukten. Dazu gehören Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizinprodukte sowie die Gesundheit und der Schutz der Patienten, Anwender und Dritten. Die Entscheidung des LAGUS hat Tatbestandswirkung. Im streitgegenständlichen Zeitraum war die Klägerin nicht befugt, Leistungen mit Instrumentarium zu erbringen, welches entsprechend steril sein muss. Die Tatbestandswirkung der Verfügung des LAGUS bedeutet, dass andere Behörden, Gerichte oder andere, nicht am Verwaltungsverfahren beteiligte Dritte von der Existenz eines Verwaltungsaktes ausgehen müssen. Sie tritt nicht nur beim rechtmäßigen, sondern auch beim rechtswidrigen Verwaltungsakt ein, soweit dieser nicht nichtig ist. Das Entscheidungsmonopol für die Beurteilung der Einhaltung der Anforderungen des MPG liegt beim LAGUS. Die Untersagungsverfügung erledigte sich nicht bereits im Zeitpunkt der Inbetriebnahme neuer Geräte durch die Klägerin. Dies auch deshalb, weil die Klägerin den Anforderungen „nur teilweise“ Rechnung getragen hat.

Praxishinweis

1. Die vom SG Schwerin vertreten strikte Sichtweise, wonach die durch entsprechende Fachbehörden verfügte Qualitätssicherung Vorrang hat und jeder Verstoß dagegen eo ipso den Honoraranspruch hinfällig macht, entspricht jahrzehntelanger Tradition, auch zum sog. „sozialrechtlichen Schaden“ (vgl. nur BGH, BeckRS 2014, 12662). Diese durchaus als drastisch empfundenen Sanktionen zielen auf prophylaktischen Schutz. Das macht durchaus Sinn: Die aktuelle Corona-Pandemie zeigt, dass Gesundheitsschutz in der Tat die einzige Möglichkeit ist, einem um sich greifenden Krankheitsgeschehen effektiv zu begegnen. Das Hygienemängel schwere Schäden verursachen können, gerät immer mehr in das allgemeine Bewusstsein.

2. Die Diskussion darüber, ob und inwieweit im Alltag das Tragen von Masken die Verbreitung des COVID-19-Virus einzudämmen geeignet ist, beweist einmal mehr, dass die Verbreitung von Viren, Ansteckungen etc. auch und gerade mit der Lebensart, also mit gesellschaftlichen Bedingungen und Überzeugungen zu tun hat – die nicht durch verwaltungsmäßige Anordnungen ersetzbar sind. Gliedert die Zahnärztin also Zahnersatz unter Benutzung eines Instrumentariums ein, welches sie zwar sterilisiert hat, deren Benutzung ihr aber von Amtswegen verboten wurde, erfüllt sie in der Tat den Behandlungsvertrag. Es sind also durchaus Grenzfälle denkbar, in denen das behördliche Verbot bezogen auf den Inhalt der Behandlung und die Erfüllung des Behandlungsvertrages seinen Sinn verliert. Dann hat diese zahnärztliche Leistung auch ihren Wert und ist damit geeignet, einen Honoraranspruch auszulösen, vgl. Spickhoff, in: Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 630 a BGB Rn. 147; LG Regensburg, BeckRS 2014, 19594). Privatpatienten können dem Honoraranspruch nach GOÄ nicht jede Art von Fehler des Behandelnden entgegenhalten.

3.Auführlich nimmt zu der Entscheidung Stellung Steinhilper, GUP Heft 3/2020.

SG Schwerin, Urteil vom 19.02.2020 - S 3 KA 35/18, BeckRS 2020, 5473