Urteilsanalyse
AG Köln: Durch Legal Tech-Algorithmus generiertes Mahnschreiben löst Geschäftsgebühr aus
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Stefan Yang / stock.adobe.com

Das Amtsgericht Köln beschäftigt sich mit der im Zuge der Legal Tech Entwicklung immer häufiger werdenden Generierung anwaltlicher Schreiben durch einen Algorithmus. Es kommt zu dem Ergebnis, dass auch bei einem durch einen Algorithmus generierten Mahnschreiben der Vergütungstatbestand der anwaltlichen Geschäftsgebühr erfüllt ist.

19. Mai 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 10/2020 vom 14.05.2020

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Vergütungs- und Kostenrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Vergütungs- und Kostenrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Vergütungs- und Kostenrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

 

VV RVG Vorbem. 2.3 III, Nr. 2300

Die anwaltliche Geschäftsgebühr wird bei der Erstellung eines durch Algorithmus generierten Mahnschreibens ausgelöst. (Leitsatz des Gerichts)

AG Köln, Urteil vom 05.03.2020 - 120 C 137/19, BeckRS 2020, 3693


Sachverhalt

Die Kläger machten gegen die Beklagte, eine Fluggesellschaft, Ansprüche wegen einer Flugverspätung geltend. Sie gaben ihre Flugdaten und sonstige Daten auf der Homepage der Prozessbevollmächtigten ein, die damit eine E-Mail an die Beklagten generierte, in der diese zur Zahlung von jeweils 400 EUR bis zum 21.06.2019 aufgefordert wurde. Die E-Mail wurde von dem E-Mail-Account der Prozessbevollmächtigten abgesandt. Am 28.06.2019 bevollmächtigten die Kläger die Prozessbevollmächtigten schriftlich mit der Geltendmachung der Ansprüche. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 09.07.2019 forderten diese die Beklagte zur Zahlung auf. Am 07.02.2020 wurde die Beklagte durch Teilanerkenntnisurteil verurteilt. Nunmehr beantragten die Kläger unter anderem die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 147,56 EUR. Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.

Entscheidung: Betreiben eines Geschäfts sowohl bei Anspruchsprüfung durch Anwalt selbst als auch durch von Anwalt programmierten Algorithmus

Die Kläger könnten von der Beklagten nicht die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren verlangen. Denn den Klägern sei kein Verzugsschaden entstanden. Der Anspruch setze voraus, dass dem Gläubiger nach Eintritt des Verzugs ein kausaler Schaden entstanden sei. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Denn die Geschäftsgebühr sei hier nicht erst mit dem Verfassen des Schriftsatzes vom 09.07.2019 entstanden, sondern bereits am 07.06.2019, also vor Eintritt des Verzugs am 22.06.2019. Die Geschäftsgebühr entstehe für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und für die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrags (VV RVG Vorbem. 2.3 Abs. 3). Dazu gehörten unzweifelhaft die anwaltliche Prüfung und Beratung über das Bestehen von Forderungen und das Verfassen eines Anspruchsschreibens. Ob dies durch eine mündliche Besprechung mit dem Rechtsanwalt, der den Anspruch in seinem Kopf prüfe, oder durch Nutzen eines vorher durch einen Rechtsanwalt programmierten und geprüften Algorithmus geschehe, sei nicht maßgeblich. Es handele sich um das Betreiben eines Geschäfts im Sinne von VV RVG Nr. 2300.

Am 07.06.2019 hätten die Kläger eine anwaltliche Beratung in Anspruch genommen. Sie hätten ihre Flugdaten und persönliche Daten einschließlich ihrer Kontoverbindung auf der Homepage der Prozessbevollmächtigten eingegeben. Der dort installierte Algorithmus habe das Bestehen eines Anspruchs «berechnet» und ein Anspruchsschreiben an die Fluggesellschaft generiert. Damit habe der Algorithmus genau dieselbe Dienstleistung erbracht, die ein Rechtsanwalt im mündlichen Gespräch und anschließend mit Verfassen eines Anspruchsschreibens erbringen würde. Der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung, das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und die Höhe der Entschädigungsansprüche würden geprüft, genau wie ein Rechtsanwalt dies getan hätte, wenn er ein persönliches Gespräch mit den Klägern geführt hätte. Die anwaltliche Leistung möge hier zwar im Vorfeld beim Programmieren des Legal Tech-Algorithmus erbracht worden sein, sie sei aber erbracht und von den Klägern genutzt worden. Der Fall entspreche dem, in dem der Rechtsanwalt etwa bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in Verkehrsunfallsachen Formulare vorbereite und zur Verfügung stelle, die der Geschädigte ankreuzen und ausfüllen könne. Wenn der Rechtsanwalt in solchen Fällen die einzelnen Positionen addiere und daraus ein Anspruchsschreiben formuliere, habe er eine Geschäftsgebühr verdient.

Dass es sich nur um einen «simplen Algorithmus» handele, bei der von einer anwaltlichen Beratung keine Rede sein könne, sei nicht dargelegt. Der Algorithmus prüfe den Anwendungsbereich der Verordnung, das Vorliegen der Voraussetzungen der Entschädigungsansprüche (Annullierung oder Verspätung von mehr als drei Stunden), das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände und die Höhe der Entschädigung. Dies seien dieselben Tatbestandsvoraussetzungen, die das Gericht bei der Entscheidung der Fluggastrechtsfälle durchprüfe. Es sei nicht ersichtlich, was ein Rechtsanwalt bei der anwaltlichen Beratung mehr prüfe. Schließlich ändere auch die Tatsache, dass die Leistung der Prozessbevollmächtigten für die Kläger kostenlos gewesen sei, an dem Ergebnis nichts. Darin liege nur ein (unwirksamer) Verzicht des Rechtsanwalts auf die Geltendmachung von Vergütungsansprüchen. Dass die Kläger am 28.06.2019 die Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung beauftragt hätten, vermöge keinen Unterschied zu machen. Denn bereits zuvor hätten sie die Prozessbevollmächtigten mit der Erbringung von Leistungen beauftragt. Dass sie in dem Moment glaubten, dies sei für sie kostenlos, sei nicht maßgeblich.

Praxishinweis

Das AG Köln beschäftigt sich mit der im Zuge der Legal Tech Entwicklung immer häufiger werdenden Generierung anwaltlicher Schreiben durch einen Algorithmus und kommt zu dem Ergebnis, dass auch bei durch einen Algorithmus generierten Mahnschreiben der Vergütungstatbestand der anwaltlichen Geschäftsgebühr erfüllt ist. Zurechtrücken muss man jedoch die Auffassung des AG Köln, wonach der Schriftsatz vom 09.07.2019 keine Geschäftsgebühr mehr ausgelöst hat. Denn nach richtiger Sichtweise entsteht die Geschäftsgebühr, eine Rahmengebühr, durch jede weitere Erfüllung des Gebührentatbestands nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 RVG erneut (BGH, Urteil vom 11.07.2017 - VI ZR 90/17, BeckRS 2017, 120479). Ist durch das Anwaltsschreiben vom 09.07.2019 ein Anwachsen der Rahmengebühr erfolgt, ist daher zumindest dieser Zuwachs als Verzugsschaden einzuordnen (siehe hierzu näher auch Anmerkung Schneider zu AG Köln - 120 C 137/19, AGS 2020, 172).