Urteilsanalyse
Zulässige Aussetzung eines Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO
Urteilsanalyse
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Die Aussetzung eines Rechtsstreits wegen eines beim BVerfG anhängigen Normenkontrollverfahrens (hier: Verfassungsgemäßheit des § 3 Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) i.d.F. vom 11.02.2020) setzt nach einem Beschluss des LG Berlin vom 23.04.2020 gemäß § 148 ZPO analog voraus, dass die Verfassungsgemäßheit des vom BVerfG zu prüfenden Gesetzes für die Entscheidung des Gerichts erheblich ist.

20. Mai 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwältin Nicola Bernhard
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 10/2020 vom 20.05.2020

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Die Aussetzung eines Rechtsstreits wegen eines beim BVerfG anhängigen Normenkontrollverfahrens (hier: Verfassungsgemäßheit des § 3 Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) i.d.F. vom 11.02.2020) setzt gemäß § 148 ZPO analog voraus, dass die Verfassungsgemäßheit des vom BVerfG zu prüfenden Gesetzes für die Entscheidung des Gerichts erheblich ist. Die Aussetzung ist nur dann ermessensfehlerfrei, wenn das Gericht entweder im bisherigen Verfahrensverlauf oder in der Aussetzungsentscheidung selbst die Entscheidungserheblichkeit des Gesetzes für die Parteien nachvollziehbar dargelegt hat.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über ein Mieterhöhungsbegehren des klagenden Vermieters. Die beklagten Mieter sind der Auffassung, die Mieterhöhung sei bereits aus Gründen der formellen und jedenfalls teilweisen materiellen Unwirksamkeit des Mieterhöhungsverlangens unter anderem im Hinblick auf die überhöht angesetzte Wohnraumfläche nicht gerechtfertigt.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss den geführten Rechtsstreit auf Zustimmung zu der Erhöhung der Nettokaltmiete ab dem 01.09.2019 im Hinblick auf ein bei dem BVerfG zur Klärung der Verfassungsgemäßheit des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin vom 11.02.2020 geführtes Normenkontrollverfahren ausgesetzt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten, der das Amtsgericht nicht abgeholfen und die es der Kammer zur Entscheidung vorgelegt hat.

Entscheidung

Die gemäß §§ 252, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Die Voraussetzungen zur Aussetzung des Rechtsstreits seien zumindest derzeit nicht gegeben. Zwar sei die Aussetzung eines Rechtsstreits in analoger Anwendung von § 148 ZPO zulässig, wenn hinsichtlich eines entscheidungserheblichen Gesetzes ein konkretes Normenkontrollverfahren vor dem BVerfG anhängig ist. An diesen Voraussetzungen fehle es, auch wenn derzeit (unter anderem) auf den Vorlagebeschluss der Kammer vom 12.03.2020 ein die Verfassungsgemäßheit von § 3 MietenWoG Bln betreffendes Normenkontrollverfahren bei dem BVerfG anhängig sei. Denn die Aussetzung sei im streitgegenständlichen Kontext nur dann ermessensfehlerfrei, wenn die Verfassungsgemäßheit des Gesetzes für den judex a quo tatsächlich entscheidungserheblich sei.

Dass die Verfassungsgemäßheit des in § 3 MietenWoG Bln für die erstinstanzliche Urteilsfindung seiner Auffassung nach tatsächlich entscheidungserheblich sei, habe das Amtsgericht weder im bisherigen Verhandlungsverlauf noch in der angefochtenen Aussetzungsentscheidung nachvollziehbar zum Ausdruck gebracht, obwohl die Beklagten geltend machen, die Mieterhöhung sei bereits aus Gründen der formellen und jedenfalls teilweisen materiellen Unwirksamkeit des Mieterhöhungsverlangens unter anderem im Hinblick auf die überhöht angesetzte Wohnraumfläche nicht gerechtfertigt. Setze das Erstgericht den Rechtsstreit aber gemäß § 148 ZPO aus, müssen seine Ausführungen erkennen lassen, dass es das ihm eingeräumte Aussetzungsermessen pflichtgemäß ausgeübt habe. Diese Voraussetzungen seien hier - bislang - nicht erfüllt, da das Amtsgericht zur Begründung seiner Aussetzungsentscheidung lediglich auf die Anhängigkeit des Normenkontrollverfahrens bei dem BVerfG, nicht jedoch auf dessen tatsächliche Entscheidungserheblichkeit für den Ausgang des Rechtsstreits abgestellt habe. Bereits die insoweit unterlassene Darlegung der Ermessensausübung gebiete die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Praxishinweis

Der Entscheidung ist zuzustimmen.

Das Amtsgericht hat mit der unzulässigen, weil ermessensfehlerbehafteten Aussetzung das Gebot effizienten Rechtsschutzes zugunsten der Prozessökonomie (hierzu Hoffmann ZZP 2013, 83) verletzt (Greger in Zöller ZPO, 33. Auflage 2020, § 148 ZPO Rn 3a).

Das Landgericht folgt der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerfG, Beschluss vom 08.10.2003 - 2 BvR 1309/03, NJW 2004, 501; BGH, Beschluss vom 25.03.1998 - VIII ZR 337–97, NJW 1998, 195), wonach die Aussetzung eines Rechtsstreits in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO zulässig ist, wenn hinsichtlich eines entscheidungserheblichen Gesetzes ein konkretes Normenkontrollverfahren vor dem BVerfG anhängig ist. Hierzu ist es aber nicht ausreichend, dass lediglich auf ein solches Verfahren verwiesen wird; vielmehr muss das Gericht darlegen, dass die Verfassungsgemäßheit des vom BVerfG zu prüfenden Gesetzes für die Entscheidung des Gerichts erheblich ist (BGH, a.a.O.). Die Aussetzung ist nur dann ermessensfehlerfrei, wenn das Gericht entweder im bisherigen Verfahrensverlauf oder in der Aussetzungsentscheidung selbst die Entscheidungserheblichkeit des Gesetzes für die Parteien nachvollziehbar dargelegt hat (LG Berlin, Beschluss vom 01.03.2018 – 67 T 20/18, NJOZ 2018, 1370). Das Gericht hätte also erklären müssen, dass die Entscheidung im konkreten Verfahren davon abhängt, ob das BVerfG § 3 MietenWoG Bln für verfassungskonform oder nicht hält. Da die Beklagten vorliegend jedoch das Mieterhöhungsverlangen für formell unwirksam halten, und das Amtsgericht bei Vorliegen einer solchen Unwirksamkeit die Klage schon deshalb abweisen müsste, hätte das Gericht diesen Punkt zuerst klären müssen; jedenfalls hätte es begründen müssen, wieso es bei seiner Entscheidung gleichwohl auf die Verfassungsmäßigkeit des § 3 MietenWoG Bln ankommt.

LG Berlin, Beschluss vom 23.04.2020 - 67 T 35/20, BeckRS 2020, 732