Urteilsanalyse
Kündigungen des Air Berlin-Kabinen-Personals sind unwirksam
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Wird bei der Massenentlassungsanzeige der für § 17 KSchG maßgebliche Betriebsbegriff der Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG (MERL) verkannt und deswegen die Anzeige nicht für den richtigen Betrieb erstattet, bewirkt dies nach einem Urteil des BAG vom 14.05.2020 die Unwirksamkeit der betroffenen Kündigungen.

29. Mai 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 21/2020 vom 28.05.2020

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Sachverhalt

Die Klägerin war bei Air Berlin als Flugbegleiterin mit Einsatzort Düsseldorf beschäftigt. Ihr Arbeitsverhältnis wurde wegen Stilllegung des Flugbetriebs mit Schreiben vom 27.1.2018 gekündigt. Air Berlin erstattete wegen der zentralen Steuerung des Flugbetriebs die Massenentlassungsanzeige für den angenommenen „Betrieb Kabine“ und damit bezogen auf das bundesweit beschäftigte Kabinen-Personal bei der für den Sitz der Air Berlin zuständigen Agentur für Arbeit Berlin-Nord.

Die Klägerin hat die Stilllegungsentscheidung bestritten. Der Flugbetrieb werde durch andere Fluggesellschaften (teilweise) fortgeführt. Ihr Arbeitsverhältnis sei auf die Luftfahrgesellschaft Walter (LGW) übergangen. Außerdem sei die Massenentlassungsanzeige fehlerhaft.

Die Vorinstanzen haben die gegen den Insolvenzverwalter gerichtete Kündigungsschutzklage ebenso abgewiesen wie die gegen die LGW gerichtete Klage, wonach das Arbeitsverhältnis mit dieser fortbestehe.

Entscheidung

Die Revision der Klägerin hatte teilweise Erfolg. In der Pressemitteilung (FD-ArbR 2020, 429439) heißt es, der Senat habe bereits bzgl. der Kündigungen des Cockpit-Personals entschieden, dass die Massenentlassungsanzeige für die der Station Düsseldorf zugeordneten Piloten mit den hierauf bezogenen Angaben bei der dafür zuständigen Agentur für Arbeit in Düsseldorf hätte erfolgen müssen (vgl. BAG, FD-ArbR 2020, 427495 m. Anm. Bauer). Dies gelte auch für das Kabinenpersonal im vorliegenden Fall. Darüber hinaus sei in der Anzeige der Stand der Beratungen der Agentur für Arbeit nicht ausreichend dargelegt worden (§ 17 III 3 KSchG). Deshalb sei die gegenüber der Klägerin ausgesprochene Kündigung wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 I, III KSchG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.

Dagegen hätten die Vorinstanzen die Klage zu Recht abgewiesen, soweit die Klägerin die Feststellung begehre, ihr Arbeitsverhältnis sei auf die LGW übergegangen. Die Voraussetzungen eines Betriebs(teil)übergangs i.S.v. § 613a I 1 BGB lägen nicht vor. Die LGW habe zwar zum Teil das sog. Wet-Lease fortgeführt, das Air Berlin für eine andere Fluggesellschaft bis Ende Dezember 2017 durchgeführt habe. Bei Air Berlin sei das Wet-Lease jedoch schon mangels hinreichender Zuordnung von Arbeitnehmern zu keinem Zeitpunkt ein Betriebsteil gewesen, der auf einen Erwerber hätte übergehen können. Bis zur Einstellung des eigenwirtschaftlichen Flugbetriebs Ende Oktober 2017 habe es zudem an der für einen Betriebsteil erforderlichen gesonderten Leitung für das Wet-Lease-Geschäft gefehlt.

Praxishinweis

Schon in meiner Anmerkung zum genannten Urteil des 6. Senats vom 13.2.2020 (a.a.O.) habe ich darauf hingewiesen, dass es die Komplexität des Massenentlassungsschutzes den Arbeitgebern nahezu unmöglich macht, zu überschauen, welche Anforderungen ein ordnungsgemäßes Massenentlassungsverfahren an sie stellt.

Abzuwarten bleibt nach wie vor, wie der 6. Senat seine Entscheidungen vom 13.2.2020 und nun auch vom 14.5.2020 über die kryptischen Anmerkungen in den jeweiligen Pressemitteilungen hinaus in den vollständigen Entscheidungen begründen wird. Dabei wird er sich auch damit auseinandersetzen müssen, dass Air Berlin bei der Agentur für Arbeit schriftlich nachgefragt hatte, an welche Agentur für Arbeit die beabsichtigte Massenentlassungsanzeige zu richten sei. Immerhin hieß es in der Antwort der Agentur für Arbeit Berlin-Nord: „Sie stellen dar, dass das Unternehmen in drei Gruppen gegliedert ist und knüpfen dabei an Mitarbeitergruppen/Betriebs-ablaufstrukturen an: Boden-, Cockpit- und Kabinen-Personal. Danach könnten diese in der ersten Grobgliederung als drei unabhängige Betriebe zu betrachten sein, wenn diese Strukturen so gelebt und in der Unternehmensrealität auch so abgebildet wurden.

Über die Entscheidung vom 13.2.2020 hinaus hat das vorliegende Urteil insbesondere Bedeutung für die Frage, ob ein Betriebs(teil)übergang vorliegt. Wet-Lease bezeichnet die Miete eines Flugzeugs einschließlich Cockpit-Crew, Kabinen-Personal, Wartung und Versicherung von einer anderen Fluggesellschaft. Bei dem Air Berlin-Wet Lease fehlte es jedoch schon an einer hinreichenden Zuordnung von Arbeitnehmern. Deshalb lag wohl zu keinem Zeitpunkt ein Betriebsteil vor, der auf einen anderen Erwerber hätte übergehen können (offengelassen von BAG, FD-ArbR 2020, 426430).

BAG, Urteil vom 14.05.2020 - 6 AZR 235/19 (LAG Düsseldorf)