Die Termine der 12. Kalenderwoche
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Der EuGH trifft am 21.3. eine wichtige Entscheidung im Dieselskandal. Folgt die Große Kammer in der Rechtssache C-100/21 den Schlussanträgen des Generalanwalts, haften Autohersteller entgegen der BGH-Rechtsprechung auch für Fahrlässigkeit. Hier die Hintergründe.


16. Mrz 2023

Herstellerhaftung bei Fahrlässigkeit? In dieser Berichtswoche stellt ein Termin alle anderen in den Schatten: Am 21.3. will der EuGH seine Entscheidung in der Rechtssache C-100/21 verkünden. Das Urteil könnte eine Zäsur im Diesel-Skandal sein – jedenfalls wenn die Große Kammer so entscheidet, wie es Generalanwalt Athanasios Rantos Anfang Juni vergangenen Jahres in seinem Schlussantrag (BeckRS 2022, 12232) vorgeschlagen hat. Nach seinem Votum schützt die Unionsregelung über die EG-Typgenehmigung auch die individuellen Interessen der Käufer – mit der Folge, dass sich daraus auch bei nur fahrlässiger Manipulation Ansprüche gegen die Autohersteller ergeben. 

Die Sache schien eigentlich gegenteilig geklärt. Der BGH hatte in seinem VW-Grundsatzurteil zur deliktischen Herstellerhaftung entschieden, dass diese nur bei einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB) in Betracht kommt (NJW 2020, 1962). Der Kaufpreisschaden könne im Wege der Vorteilsausgleichung durch eine Nutzungsentschädigung auch vollständig aufgezehrt werden. Das zugrunde liegende EU-Recht sei aus Sicht aller mit Dieselfällen betrauten BGH-Senate „acte clair“, weshalb ein Vorabentscheidungsersuchen „nicht veranlasst“ sei. Ein Einzelrichter am LG Ravensburg sah dies in einem Verfahren wegen eines mit einem sogenannten Thermofenster ausgestatteten Mercedes anders. Dieses sei nach vorläufiger Einschätzung eine unzulässige Abschalteinrichtung, da es offenbar nicht dem Motorschutz diene, sondern nur den Verschleiß verhindern solle. Da Mercedes wohl nicht vorsätzlich gehandelt habe, stelle sich die Frage einer deliktischen Haftung wegen fahrlässigen Handelns. Dies würde nach deutschem Recht voraussetzen, dass die Unionsregelung über die EG-Typgenehmigung, nach der solche Abschalteinrichtungen verboten seien, auch darauf abziele, die Interessen eines individuellen Erwerbers zu schützen. Deshalb legte das LG dem EuGH die Frage vor, ob die Regelung individualschützenden Charakter hat. In diesem Fall solle der EuGH auch die Berechnungsmethode für den Ersatzanspruch klären, insbesondere ob der Nutzungsvorteil auf die Erstattung des Kaufpreises des Fahrzeugs angerechnet werden muss. 

Generalanwalt Rantos ist der Ansicht, dass die Unionsregelung über die EG-Typgenehmigung das Interesse eines Fahrzeugkäufers schütze, keinen Pkw mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu erwerben. Denn mit der EG-Übereinstimmungsbescheinigung versichere der Hersteller dem Erwerber, dass das Auto die Anforderungen des Unionsrechts erfüllt. Deshalb müssten Käufer von Fahrzeugen mit einer solchen Abschalteinrichtung einen Ersatzanspruch gegen den Hersteller haben. Das Unionsrecht verpflichte die Mitgliedstaaten dazu, einen solchen Anspruch vorzusehen. Zu den Modalitäten der Berechnungsmethode schreibt Rantos, diese seien Sache der Mitgliedstaaten. Allerdings müsse die Entschädigung dem erlittenen Schaden angemessen sein. Das LG müsse prüfen, inwieweit die Anrechnung des Nutzungsvorteils auf die Erstattung des Kaufpreises dies gewährleiste. Insofern sei es nicht Sache des EuGH zu entscheiden, ob der aus der Fahrzeugnutzung gezogene Vorteil am vollen Kaufpreis zu bemessen sei, ohne dass wegen des aus der unzulässigen Abschalteinrichtung resultierenden Minderwerts ein Abzug vorgenommen wird.

Folgt der EuGH dieser Einschätzung, hat das nicht nur Auswirkungen auf die vom BGH und vielen Instanzgerichten im Hinblick auf den Luxemburger Entscheid ausgesetzten Verfahren. Die deliktische Haftung würde auf weitere Hersteller und Fallgruppen erstreckt. Weil noch längst nicht alle Ansprüche von Neuwagenkäufern verjährt sind, wäre mit einer neuen Klagewelle zu rechnen, die die Justiz zusätzlich zu den noch zahlreichen anhängigen Verfahren belasten würde. Schließlich hat das Urteil des EuGH auch das Potenzial, maßgeblich auf die Dogmatik des deutschen Delikts- und Schadensrechts einzuwirken, indem dort der Präventionsgedanke verankert wird (so Heese NJW-Editorial H. 26/2022, 3). Andere wiederum sehen in der Rechtsauffassung des Generalanwalts eine systemwidrige Durchsetzung öffentlicher Produktvorgaben mittels des privaten Haftungsrechts (Röhl NJW-Editorial H. 30/2022, 3).

Red.